Studieren mit Handicap: Chronisch krank an der Uni
Immer mehr Menschen mit „gesundheitlicher Beeinträchtigung“ immatrikulieren sich. Maria Boerner hat Mukoviszidose.
Die Bachelorstudentin der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ist an Mukoviszidose erkrankt, einer chronischen Stoffwechselkrankheit der Lunge und anderer Organe. Sie ist eine von rund 264.000 Studierenden mit gesundheitlicher Beeinträchtigung an deutschen Hochschulen. Diese Zahl hat die im Juni veröffentlichte Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks für 2016 festgestellt. Wie vielfältig die Bedürfnisse dieser Studierenden und ihre sogenannten Beeinträchtigungen sind, lassen die Zahlen nur erahnen.
„Viele Menschen haben ein bestimmtes Bild von Behinderungen, in der Regel das eines Rollstuhlfahrers“, sagt Maria Boerner, die im dritten Semester Politikwissenschaft und Anglistik studiert. Als Behinderung definiert das deutsche Sozialgesetzbuch neben Bewegungseinschränkungen auch Seh-, Hör-und Sprechbeeinträchtigungen oder chronische körperliche und psychische Erkrankungen.
Für Maria Boerners Studium bedeutet ihre Krankheit vor allem Zeitverlust. Die 21-Jährige hat „einen hohen Therapieaufwand“, wie sie es nüchtern nennt. Sie inhaliert täglich vier verschiedene Medikamente, manche davon zweimal. Mehrmals wöchentlich macht sie Atem- und Physiotherapie. „Manchmal fällt es mir schwer, Treppen zu laufen. Schwierig wird es ab dem dritten Stock.“
Barrierefreiehit kann vieles bedeuten
Auf dem Weg zu ihren Seminaren macht die Studentin das dennoch regelmäßig, sie hat den Anspruch, fit zu bleiben. Als ihr der Weg zu einer Veranstaltung zu beschwerlich wurde, bat sie die Universität, diese in ein anderes Gebäude zu verlegen. „Das war überhaupt kein Problem.“ Barrierefreiheit bedeute nicht alleine, einen Aufzug anzubieten, sagt sie. „Jeder braucht andere Hilfsmittel.“
Maria Boerner
Studierende mit gesundheitlicher Beeinträchtigung haben nach Hochschulgesetzgebung Anspruch auf sogenannte situationsbezogene Nachteilsausgleiche. Betroffene könnten diese vor den Prüfungen beim Prüfungsausschuss oder bei Dozenten beantragen, erläutert Dania Hollmann, Beauftragte für behinderte und chronisch kranke Studierende an der Universität Heidelberg. „Die Organisation des Nachteilsausgleiches verläuft aufgrund der dezentralen Prüfungsverwaltung an den jeweiligen Fakultäten individuell.“
Maria Boerner schreibt ihre Klausuren oft erst zum zweiten Termin oder erhält eine Verlängerung der Abgabefristen. Sie weiß, was ihr zusteht, und hat kein Problem, offen damit umzugehen. „Ich spreche die Dozenten auch darauf an, dass ich möglicherweise häufiger fehle, als es die Anwesenheitspflicht erlaubt. Das ging bisher immer unbürokratisch.“ Nur ein Mal sei ein Professor „nicht ganz so verständnisvoll“ gewesen. Er habe für jede einzelne Abwesenheit ein Attest gefordert.
Im Computerraum öffnet Maria Boerner das Statistikprogramm Stata. Der Tutor erklärt den Politikstudierenden währenddessen die Übungsaufgabe. Die Studentin legt den Kopf schief, kneift die blauen Augen zusammen und tippt schnell Anweisungen ins Programm. Sie begann ihr Studium in Physik, auch Mathematik und Naturwissenschaften liegen ihr.
Die Krankheit sieht man ihr nicht an
Dennoch wechselte sie zu Politikwissenschaft und Anglistik, was sie schon bei der Studienwahl gleichermaßen interessiert hatte. Doch auch ihre Gesundheit spielte eine Rolle für den Wechsel. „Die ersten Semester waren ziemlich anstrengend. Mir ging es zu dieser Zeit nicht gut.“ Bei der Bewerbung für das Fach Politik stellte sie einen Härtefallantrag, weil ihre Mukoviszidose immer weiter fortschreitet. „Ich habe eine sofortige Aufnahme ohne Wartesemester beantragt.“
Während des Tutoriums hustet und räuspert sich Maria Boerner hin und wieder. Ihren Kommilitonen scheint das zwischen den Übungen mit der Statistik-Software kaum aufzufallen. Doch ihr gesundheitlicher Zustand ist an manchen Tagen auch schlechter. „In der Schule wussten immer alle von meiner Krankheit. Den Dozenten sage ich es meistens früh, weil ich oft huste. Viele Kommilitonen erfahren es erst mit der Zeit.“ Sie findet es praktisch, dass ihre Krankheit nicht sofort auffalle. „Andererseits werde ich oft gefragt, ob ich erkältet bin. Oder in der Straßenbahn darauf angesprochen, warum ich auf einem Platz für behinderte Fahrgäste sitze.“
Ihr Studium zieht sie in Vollzeit durch, belegt pro Semester aber weniger Veranstaltungen als vom Verlaufsplan vorgesehen. „Ein Teilzeitstudium ist leider nur für Anglistik, nicht für Politikwissenschaften möglich“, bedauert sie. Derzeit bietet die Universität Heidelberg 35 Fächer in Teilzeit an. „Neben dem offiziellen Teilzeitstudium ist es im Rahmen der meisten Studiengänge zudem möglich, einen individuellen Stundenplan zusammenzustellen“, sagt Dania Hollmann. „Somit ist auch auf diesem Weg eine Einflussnahme auf die Leistungs- und Prüfungsbelastung möglich.“
Mit jedem Semester lernt Maria Boerner besser, „wann es zu viel wird“. Sie plant, noch vier bis fünf Semester zu studieren. Um eine mögliche Bafög-Verlängerung muss sie sich „zum Glück nicht kümmern“. Anspruch auf die Förderung hätte sie unabhängig von ihrer Krankheit nicht, ihre Eltern können sie durch Unterhaltszahlungen unterstützen. „Ich könnte mein Studium mit meiner Krankheit gar nicht selbst finanzieren.“
Sie engagiert sich politisch
Gleichstellungspolitik ist der Studentin wichtig, denn die Gesellschaft wolle „oft nicht wahrhaben, dass sie Behinderte diskriminiert“. Im vergangenen Semester schrieb Maria Boerner eine Hausarbeit zur literarischen Darstellung von Behinderung. Nach der Bundestagswahl möchte sie eine Arbeitsgemeinschaft für Menschen mit Behinderung im SPD-Ortsverein gründen, für den sie sich engagiert. „Dafür muss neben der Universität noch Platz sein. Die Energie hatte ich aber am Anfang des Studiums noch nicht.“
Der Montag, den sie in einem Statistik-Tutorium und anschließend in einem Seminar verbringt, ist ihr zweiter Hochzeitstag. Ihr Mann ist ebenfalls chronisch krank und studiert auch in Heidelberg. Zusammen würden sie gerne ein Semester ins Ausland gehen. „Ich traue mir das generell zu, müsste nur auf die Gesundheitsversorgung und Versicherungslage im Gastland achten. Leider passen die Partneruniversitäten unserer Studiengänge nicht zusammen.“
Im Sommer geht es erst einmal auf Hochzeitsreise in die USA und Kanada, „mit viel Platz im Koffer für Medikamente“. Davor warten noch Klausuren, eine Hausarbeit und ein kleines Examen. Verlängern will Maria Boerner die Frist des „Take-Home-Exams“ für ihr Tutorium dieses Mal aber nicht. Sie will es in einer Woche schaffen – wie alle anderen auch.
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