Angefüttert und abgefrühstückt

AUSSTELLUNG „Vorsicht, Kinder!“, die zweite Schau in der Humboldt-Box, vermittelt zum Thema Kinderschutz lieber gefällige Binsenweisheiten, als sich transkulturellen Fragen zu widmen

Fahrradkindersitz, Großbritannien, um 1938 Foto: bpk-Bildagentur

von Donna Schons

Kinder und kleine Tiere kommen immer gut. Und wirken befriedend. Das dachten sich wohl auch die Intendanten des Humboldtforums, als sie sich für das Thema ihrer neuen Ausstellung in der benachbarten Humboldt-Box entschieden. Mit „Vorsicht, Kinder! geschützt, geliebt, gefährdet“ wollen Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp die Wogen glätten, die sich im Zuge der Streitigkeiten um das Forum aufgetan haben. Wenn es bloß nur der Streit über das Kreuz gewesen wäre, das künftig auf dem Dach des Gebäudes thronen soll! Ein Symbol christlichen Glaubens also an der Spitze einer Institution, die transkulturelle Forschung betreiben will. Nein, es mehren sich auch die Zeichen, dass die Kulturbaustelle Humboldtforum mit ihren konzeptuellen Defiziten die kommenden Monate und Jahre ein beherrschendes Thema sein wird.

Bis das eigentliche Museum eröffnet, will man auf der temporären Ausstellungsfläche der Humboldt-Box beweisen, dass man im Schloss verantwortungsbewusst mit der heiklen Aufgabe der Präsentation ethnologischer Artefakte umgehen wird. Diese findet in „Vorsicht, Kinder!“ eingangs ganz klassisch statt: In Vitrinen – angebracht auf mal mehr, mal weniger kindgerechter Höhe – lassen sich Schutzgöttinnen, Amulette und Talismane bewundern, die Kindern mit übernatürlicher Hilfe Schutz gewährleisten sollen. Provenienzhinweise, wie sie die noch bis vor Kurzem dem Expertenbeirat angehörende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy vorschlug, sucht man auf den unter den Glaskästen angebrachten Hinweisschildern vergeblich.

Die von den Studenten der Humboldt-Aussteigerin stammende Idee, Ausstellungsobjekte originalgetreu nachzubilden, wurde zumindest an einer Stelle beherzigt: Vor einem Spiegel liegen chinesische Tiermützen bereit, die junge Besucher anprobieren dürfen. Die Originalstücke wurden daraufhin allerdings nicht in ihr Ursprungsland zurückgegeben, sondern befinden sich in einer Vitrine direkt daneben. Es bleibt folglich unwahrscheinlich, dass in naher Zukunft Sammlungsbestände, die oftmals im Zuge des Kolonialismus nach Deutschland kamen, restituiert werden.

Weiter geht es mit Objekten, die die Sicherheit von Kindern in Bewegung gewährleisten sollen. Vom Hartschalen-Fahrradkindersitz bis zur mit Fell ausgekleideten Tragebahre ist alles dabei. Im Schlesien des späten 18. Jahrhunderts leinte man Kleinkinder gelegentlich an. Allerdings geschah das im Vergleich mit den überforderten Touristen der Neuzeit, die ihren Kindern auf Reisen gern mal ein neonfarbenes Geschirr umbinden, um einiges stilvoller – dank Seidenkleid mit eingebautem Gängelband.

Auch die ausgewogene Ernährung ist Thema. Eingangs werden stillende Mütter gezeigt, daneben türmt sich auf Regalbrettern ein Sammelsurium von ungesunden Lebensmitteln, die mit ihren bunten Farben und liebenswerten Maskottchen Kinder in ihren Bann ziehen sollen – zugleich sind Statistiken aufgeführt, die belegen, dass sowohl Unter- als auch Übergewicht bei Kindern nach wie vor weltweit ein gravierendes Problem darstellen.

In Vitrinen lassen sich Talismane bewundern, die Kindern Schutz bieten sollen. Provenienzhinweise sucht man vergeblich

Eine Etage weiter oben sehen wir Kinder im Kontext der Flucht, von Jesus auf dem Weg nach Ägypten bis heute. Besonders berührend ist dabei die Fotoserie „Where The Children Sleep“ von Magnus Wennman, die syrische Flüchtlingskinder, auf notdürftige Schlafplätze gebettet, zeigt.

Eine Ecke weiter erzählen in Sinya Schönebergers Videoinstallation „Sich Sicher Sein“ 16 Berliner unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters davon, welche Objekte ihnen in ihrer Kindheit Schutz und Halt schenkten. In einer Vitrine vor dem abgedunkelten Filmvorführungsraum werden dann im Wechsel einige dieser Objekte gezeigt. Momentan ist dort ein ganz freiwillig abgegebenes pinkfarbenes Plüsch-Einhorn zu sehen, das eine jungen Berlinerin im Jugendheim von ihrer besten Freundin geschenkt bekam. Die letzte Station ist dann ein Zelt, in dem es um Bildung und Schule geht. Wie den anderen Subkategorien auf dieser Etage könnte man dem Thema auch eigentlich eine ganze Ausstellung widmen – stattdessen wird es mit wenigen Beispielen aus Australien und Venezuela abgefrühstückt.

Mit ihrer kleinen Ausstellungsfläche bietet die Humboldt-Box zu wenig Raum, um ein so weitläufiges Thema wie den Schutz von Kindern transkulturell zu erkunden. Dementsprechend gedrängt wirkt die Ausstellung an mancher Stelle, und dementsprechend willkürlich die Schwerpunktsetzung. Gerade angesichts der europäischen Geschichte der Kinderarbeit wäre es spannend gewesen zu erfahren, seit wann Kinder in verschiedenen Kulturen als besonders schützenswert gelten. Statt derartigen Fragen nachzugehen, vermittelt die Ausstellung aber vor allem wenig kontroverse Binsenweisheiten.

„Vorsicht, Kinder! geschützt, geliebt, gefährdet“, bis 14. Januar 2018, derzeit tgl. 10–19 Uhr