Mode für den Klimawandel, autistische Zahlenkunst und ein Bummel über den Neuköllner Flowmarkt
: Ein Drink mit deinem Namen

Foto: privat

Ausgehen und rumstehen

vonJenni Zylka

Designt Gummistiefel mit Absätzen, predige ich seit Jahren ungefragt allen Designer*innen, näht uns Regenmäntel, Regenhüte, wasserdichte Pumps: Wir haben einen Klimawandel! Und wollen dem klimatischen Verderben zumindest in style begegnen! Aber auf mich hört ja keine*r.

Außer Vivienne Westwood. Letzte Woche hieß es darum: Rein in diese hübschen „Rubber Shoes“ mit Keilabsatz, die sie erfunden hat, und trotz eventuell vom Himmel fallender Hunde und Katzen losmarschiert zu einem Nico-Abend im Hinterzimmer des Charlottenburger „Brels“. Es wäre ihr – also Nicos – 29. Todestag gewesen, und überhaupt gibt es keinen Grund, die Musikerin nicht regelmäßig warm zu erinnern.

Das tat in diesem Fall ihr ehemaliger Gitarrist und Freund Lüül, der Anekdoten von intensiven Vertrautheiten und drogenschwangeren Konzerten aus seiner Zeit mit Nico vorlas und zwischendurch Songs für sie spielte. Die Bewunderung für die traurigste aller Traurigen flackerte dabei durch jede Zeile wie ein kleines Friedhofslichtlein, sodass einem als Zuhörer*in die Empathie leicht fiel.

Richtig stark regnete es aber – obwohl das gut zu Nico gepasst hätte! – erst am Samstag und spülte jede Menge Picknickpläne in den Rinnstein, hähä, bin eh in Wahrheit überhaupt kein „Angrillen!“-Fan und komme immer nur mit, um den Crémant auszutrinken, bevor er warm wird.

Aber abends ging dann alles wieder: Zuerst schauten wir in die Laura Mars Gallery, weil dort die „disjunktion“-Ausstellung von DAG und Dirk Krecker zu Ende ging, und erlebten wunderbare DIN-A4-Kunst, so genannte Typewriter Drawings, die von mechanischen Schreibmaschinen gemacht wurden – aus Wörtern oder Buchstaben angerichtete Bilder, ein bisschen „écriture automatique“, aber eben mithilfe einer Tastatur. Das Potenzial der mechanischen Schreibmaschine habe auch schon Kurt Schwitters genutzt, erklärte der Pressetext, da hätte ich um ein Haar ­dazwischengerufen: und Jerry Lewis jawohl auch! Bing! DAGs großformatige Bilder hingegen sind gemalte, geometrische, kontrastreiche Farbflächen, die aussehen wie das, was bei einer kunstliebenden Roboterfamilie im Wohnzimmer hängen würde, herrlich.

Später kippten wir Drinks im Soulcat Club, denn da gibt es gute Musik und den „Scarlet O’Hara“-Cocktail, der 1939 anlässlich des Filmstarts von „Vom Winde verweht“ als Merchandise erdacht wurde – solche Geschichten kriegen mich ja. Ich weiß auch gar nicht, wieso immer alle wollen, dass ein Hoch, ein Tief oder ein Stern nach ihnen benannt wird. Ein Drink ist doch viel ehrenvoller.

Am nächsten Tag blieb es geometrisch bei der Hanne-Darboven-Ausstellung im Hamburger Bahnhof, die man sich unbedingt noch angucken sollte: Jeder Mensch, bei dem Zahlen auch nur ein kleines Steinchen im Brett haben, müsste in der Künstlerin seine Meisterin finden. Denn sie ist Gräfin Zahl – inklusive einer schillernden, an das Autismus-Spektrum erinnernden Aura.

Sonntagnachmittag bummelten wir ein bisschen über den Neuköllner Flowmarkt und versuchten, die eingangs erwähnte schicke Regenkleidung aufzustocken. Klappte leider nicht so gut. Gut klappte dagegen, sich prophylaktisch schon einmal das imaginäre Mixtape für den Klimawandel auszudenken, mit Hits wie Dalidas „Am Tag, als der Regen kam“, Drafi Deutschers „Marmor, Stein und Eisen bricht“ (mit der ersten Zeile „Weine nicht, wenn der Regen fällt“), „Rain“ von den ­Beatles und „Listen to the Rhythm of the Falling Rain“ von The Cascades … Ich kann’s nicht mehr hören, murrte irgendwann meine Begleitung, aber ich schon, ich mag Regen, und sich über den Klimawandel zu beschweren finde ich verlogen: Wir haben ihn doch selber herbeigedieselt.