Ausstellung über Trisomie 21: Glotzt nicht so freundlich
Die Galerie im Park setzt sich in der Ausstellung „Touchdown“ mit der Geschichte und der Ausgrenzung durch das Down-Syndroms auseinander
Vor 78 Jahren, so berichtet Hans-Walter Küchelmann, wurde seine behinderte Schwester für eine Woche in ein Heim gegeben, um die Familie zu entlasten. Das Kind kam bereits Tage später tot zurück. Angeblich plötzlich erkrankt und verstorben. „Schwachsinnig“ stand in der Krankenakte. Ein Beispiel für die laut Ausstellung mehr als 800 Kinder, Jugendlichen, Frauen und Männer aus Bremen, die zu den Opfern der nationalsozialistischen Medizinverbrechen wurden.
Heute sei Inklusion in aller Munde, aber Begeisterung für etwas andere Menschen immer noch eingeschränkt, berichtet Judith Hennemann, Mutter einer 20-Jährigen mit Down-Syndrom. Trotz künstlerischer, sozialer, politischer Initiativen sind gerade geistig Behinderte weniger in den Alltag integriert als in Einrichtungen wie den Martinshof separiert. Ausgrenzung beginne beim Augenkontakt, so Hennemann.
Abweisend, irritiert, ängstlich, mitleidig, neugierig, freundlich wirke es, „aber es ist immer ein Glotzen, Stieren, Starren, dem meine Tochter in der Öffentlichkeit ausgesetzt ist“. Und weil Down-Syndrom-Menschen häufig viel jünger aussehen als sie sind, werden sie im Supermarkt schon mal für ein Kind gehalten und geduzt, was als Respektlosigkeit empfunden wird. Trisomie 21 ist keine Krankheit, sondern eine Behinderung – und sie werde gerade abgeschafft, sagt Galerie-Chef Achim Tischer.
Bei der von Wissenschaftlern errechneten Wahrscheinlichkeit von 0,2 Prozent, ein Kind mit Trisomie 21 zu bekommen, würden jährlich etwa 1.500 in Deutschland geboren. Da die Genmutation heute bereits vor der Geburt festgestellt werden kann, wird aus dem, was einst als Schicksal akzeptiert werden musste, eine moralische Entscheidung: Die geschätzte Abtreibungsquote dieser Föten liegt bei weit über 90 Prozent.
„Laut Paragraf 218 ist dies bis einen Tag vor der Geburt möglich“, so Tischer. Bald gebe es nur noch Down-Syndrom-Kinder mit Migrationshintergrund, da in Familien vieler Geflüchteter die Pränataldiagnostik noch nicht zum Lebensalltag gehöre.
„Touchdown“ ist eine prima Einführung in den Themenkomplex. Sehr textlastig wirkt sie zwar dank großer Erklärtafeln, drumherum arrangiert ist aber ein buntes Patchwork mit Exponaten aus Archäologie, bildender Kunst, Zeitgeschichte, Medizin, Genetik und Film, ergänzt um Kunstwerke, die nicht als Outsider-Art das Trennende, sondern inhaltlich das Gemeinsame betonen, da sich Menschen mit Down-Syndrom darin mit Nähe, Liebe und Partnerschaft beschäftigten. Das beginnt mit Zitaten in einfacher Sprache. Hennemann liebt es, dass Menschen mit Down-Syndrom „einfach schneller auf den Punkt kommen“.
„Liebe ist leichte Sache zu schreiben, aber sagen oft peinlich“, ist da zu lesen. Und: „Liebhaben ist schön, aber auch anstrengend.“ Dazu sind homoerotische Zeichnungen zu sehen von muskulösen, spargeldürren Männern, zwei haben in der Badwanne Sex und äußern per Sprechblase: „Ja ja ja ja ja“ und „Oh oh oh oh“. Und wie möchten sie angesprochen werden? „Downie“ und „Mongo“ sei „doof“ und eine Beleidigung: „Besser ist: mein Name einfach.“
Touchdown, Galerie im Park, Bremen, bis 27. August
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“