AnwohnerInnen gegen günstigen Wohnraum: Sylt soll schön bleiben
Sylt baut in den nächsten acht Jahren 2.580 bezahlbare Wohnungen um den Zuzug junger Menschen zu fördern. Manchen Insulaner*innen passt das gar nicht
Bis 2025 sollen auf Sylt 2.850 neue Wohnungen entstehen. Marcus Kopplin leitet das Projekt und die Kommunalen Liegenschaftsmanagements. „Wir verlieren jeden Tag Menschen, die aufs Land ziehen“, sagt er. Es gebe erheblichen Fachkräftemangel auf der Insel. Stattdessen pendeln laut dem Sylter Spiegel täglich um die 4.500 Menschen hin und her.
Achim Bonnichsen pendelt seit 30 Jahren. Er arbeitet als Fliesenleger auf Sylt. Mittlerweile hat er bereits zwei seiner Arbeitnehmer verloren, weil die lieber aufs Festland gezogen sind. „Die Lebensqualität auf dem Land ist einfach besser“, sagt er. Es sei zwar rentabel, auf Sylt zu arbeiten, doch koste es sehr viel Zeit zu pendeln.
Wegen der hohen Mietpreise würde er niemals nach Sylt ziehen: „1996 habe ich für 180.000 DM ein Haus in Klixbüll gekauft. Auf Sylt hätte ich dafür 800.000 DM bezahlt.“ Ein anderes Argument sei, dass er auf dem Land sehr viel mehr Platz für sein Geld bekomme. Außerdem sei es ruhiger, weil auf dem Festland nicht alle zwei Wochen neue Urlauber eintreffen, die Lärm machen.
Auf Sylt liegt der durchschnittliche Mietpreis bei 17 Euro pro Quadratmeter. Für Wohnungen zwischen 40 und 80 Quadratmeter sind durchschnittlich 19 Euro fällig. 2011 waren es noch 14 Euro.
Die Mieten für die Wohnungen des Kommunalen Liegenschaftsmanagements liegen bei 10 Euro pro Quadratmeter. Es wird jedoch auch Wohnungen für 5,80 Euro pro Quadratmeter für Menschen mit Wohnberechtigungsschein geben.
In Schleswig-Holstein liegt der Mietendurchschnitt derzeit bei etwas über 7 Euro.
Unter anderem aus diesen Gründen überlegen auch immer mehr Ur-Sylter, die Insel zu verlassen. „Eine Freundin von mir kommt ursprünglich aus Sylt und überlegt mittlerweile, die Insel zu verlassen“, erzählt Marlis Leonartz, die seit über 40 Jahren regelmäßig auf Sylt im Urlaub ist. „Das Problem sind die Kurzurlauber, die für ein paar Tage mit dem Flugzeug herkommen“, sagt sie. Sie beschwert sich darüber, dass immer häufiger Flugzeuge fliegen und die Leute nur noch zum Partymachen kommen. „Die sollen bitte nach Mallorca fliegen“, sagt sie.
Die Partyurlauber will die Politik nicht vertreiben, aber sie will, dass die Leute, die auf der Insel arbeiten, wieder dort wohnen können. Der Sylter Bürgermeister Niklas Häckel betont, dass das sogenannte Wohnraumentwicklungskonzept 2025 ein städtisches Projekt ist. Dabei ginge es auch darum, der Flucht der Ur-Sylter entgegenzuwirken und den Zuzug von Familien und jungen Menschen zu fördern. „Für eine Gesellschaft brauchen wir auch Leute, die nach 18 Uhr noch hier sind“, erläutert Kopplin. Neben Häusern im dänischen Stil sind auch Reihenhäuser auf Mietbasis geplant.
Mittlerweile sorgt das Projekt vor allem auf Seite mancher Sylter für Aufsehen. Sie fürchten, dass die Wohnungen wieder als Ferienwohnungen genutzt werden. Kopplin spricht davon, dass vor allem der Umfang des Wohnungsbaus kritisiert wird. Es sind auch Sozialwohnungen geplant. Aber das sei laut Kopplin gar nicht das Problem: „Vielen Leute sind die Gebäude zu hoch.“ Außerdem seien viele der Meinung, dass die Wohnungen nicht nach Sylt passen. Und es seien einfach zu viele.
Ein Leser der Sylter Rundschau kommentiert, dass der „Fachkräftemangel noch lange nicht erklärt, weswegen man genau jetzt 3.000 Wohnungen braucht“. Für ihn sind es zu viele Wohnungen. Inselliebhaberin Marlis Leonartz fürchtet um das Ansehen der Insel. „Sylt soll schön bleiben und inseltypisch“, sagt sie. Zu viele Wohnungen würden den Charme der Insel kaputt machen.
Kopplin spürt den Widerstand gegen das Projekt deutlich. „Man hört eine ganze Menge“, sagt er. Das liege an den kleinbürgerlichen Strukturen. Für Bürgermeister Häckel sind das alles nur Einzelmeinungen. „Eine Interessensgemeinschaft gegen den Wohnungsbau gibt es nicht“, sagt er. Und auch Kopplin lässt sich von seinem Projekt nicht abbringen. Erst letzte Woche feierte er das Richtfest eines Neubaus von 25 Wohnungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch