Haltungsnoten für die Big Bosses

Performance Wie haben sich die Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen in Hamburg benommen – gab es Entgleisungen?

Für Angela Merkelwar der Gipfel eine echte Her­ausforderung. Wie Trump einbinden? Was tun mit dem Autokraten Erdoğan? Merkel löste ihr Dilemma wie so oft mit Freundlichkeit, kühlem Pragmatismus und ein bisschen brandenburgischem Witz. Sie grinst verschwörerisch zu den Fotografen hin­über, als sie auf die Staatschefs wartet. Dann verteilt sie Wangenküsschen an Trudeau und Macron. Großes Kino ist auch ein Kurzvideo, das zeigt, wie Wladimir Putin am Rande einer Besprechung auf Merkel einredet – und sie genervt mit den Augen rollt. Von Machos lässt sich diese Frau schon lange nichts mehr erklären.

Haltungsnote: 2+

The real Donald Trump machte es spannend für die Beobachter. Er stakst beim Defileé am Freitagmorgen mit steifen Schritten auf Merkel zu, schaut beim Handshake an ihr vorbei und schüttelt beim Abgang kurz die rechte Faust in Richtung Journalisten. Wie schlimm würde es werden? Geht so. Trump schwänzt beim Gipfel zwei Arbeitssitzungen wegen bilateraler Gespräche, schickt einmal seine Tochter Ivanka als Ersatz, aber das war es dann auch schon mit den Eklats. Sogar das Sinfonie-Konzert in der Elbphilharmonie übersteht er, ohne mit dem Finger auf dem Smartphone auszurutschen. Am Ende bescheinigt er Merkel, einen „fantastischen Job“ gemacht zu haben. Hätte schlimmer kommen können.

Haltungsnote:

Das Enfant terrible gab dieses Mal der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Die letzten Formulierungen des gemeinsamen Kommuniqués der G20 ist gerade eine halbe Stunde alt, da zieht Erdoğan in einer Pressekonferenz vom Leder. Er stellt die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens durch sein Land infrage, nennt das von der Bundesregierung gegen ihn verhängte Auftrittsverbot am Rande des Treffens „politischen Selbstmord“ und verteidigt die Inhaftierung von Journalisten wie dem Welt-Korrespondenten Deniz Yücel. Traurig und beängstigend: ein Autokrat in Aktion.

Haltungsnote:

Der joviale EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mag Körperkontakt. So auch bei diesem Gipfel. Juncker tätschelt, legt den Arm um einen Staatschef. Er weiß aus ungezählten Sitzungen in Brüssel, wie wichtig es bei sich widersprechenden Interessen ist, für gute Laune zu sorgen. Er weiß, dass man auch Stillstand als Erfolg verkaufen sollte. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagt er nach dem Gipfel: „Auch beim Klimawandel haben wir eine starke Allianz geschmiedet – wenngleich die USA aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen.“ Schön wär’s.

Haltungsnote: 2+

Ein Extralob verdient der Franzose Emmanuel Macron. Während die meisten Staats- und Regierungschefs in ihrer abgeschotteten Blase in einer Stadt voller Rauchwolken bleiben, schlendert der attraktive französischen Präsident einmal entspannt an der Außenalster entlang. Er plaudert mit Anwohnern, gibt Interviews, nimmt sich Zeit für Selfies mit Passanten. Ein Typ zum Anfassen, das hat Klasse.

Haltungsnote:

Der Kanadier Justin Trudeauglänzte als cooler Vater. Als er am Donnerstag mit seiner Frau am Flughafen Hamburg die Flugzeugtreppe heruntersteigt, halten sie ihren dreijährigen Sohn Hadrien an den Händen – und heben ihn zum Engelchen-flieg-Spiel ein paar Mal in die Luft. Und der Kanadier macht nicht nur in der vornehmen Elbphilharmonie eine gute Figur. Am Abend zuvor tritt Trudeau, T-Shirt unter Blazer, beim Global-Citizen-Konzert auf – und wirbt für gleiche Rechte für Frauen und Mädchen. Das Publikum bejubelt ihn beinahe so frenetisch wie Coldplay und Shakira.

Haltungsnote:

Ulrich Schulte