: Erhitzte Diskussionen
Musikgeschichte Von Deutschland nach Israel ausgewandert, stellte sich für Komponisten die Frage der Verbindung nach Ost und West in der Musik. Wieder zu Gehör gebracht auf dem Festival „New Life“
von Judith Poppe
„Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn er nicht hätte fliehen müssen, aber sicher ist: Er hätte andere Musik gemacht“, sagt Tamar Ben Avraham, Enkelin des Komponisten Paul Ben Haim. Sie ist zu dem Festival „New Life – Musik jüdischer geflüchteter Komponisten“, anlässlich des 120. Geburtstags ihres Großvaters, aus Israel angereist und erwartet das nächste Konzert unter der gläsernen gewölbten Decke der St. Elisabeth Kirche.
Was passiert, wenn eine_r seine Heimat verlassen muss und von einem Tag auf den anderen eine neue Umgebung zu seiner Heimat machen will? Um diese Frage zu beantworten, spannte das Festival einen weiten Bogen, zurück in die Zeit vor der Emigration verschiedener jüdischer Komponist_innen, hinein in die lange Zeit nach ihrer Emigration in unterschiedliche Länder. In hochkarätigen Konzerten und Präsentationen wurden am Wochenende die individuellen Antworten der Komponisten, unter ihnen Kurt Weill, Josef Tal und Paul Ben Haim, hör- und fühlbar.
Die Auftaktveranstaltung „Exil oder neue Heimat?“ bot anhand von Klavierstücken und klug ausgewählten Textauszügen verschiedener nach Israel eingewanderte Komponisten einen Einblick in ihr neues Leben zwischen Kibbuzim, Wüste und Tel Aviv. Erhitzt diskutierten sie dort die Frage nach einer neuen israelischen Musik. Ben Haim und Max Brod zählten sich zu einer Gruppe, die sich von der nah- und mittelöstlichen Folklore inspirieren ließ und auf der Suche war nach einer neuen Sprache, „einer nationalen jüdisch-israelischen Musik“. Beispielhaft dafür steht Brods Rhapsodie „Das Mittelmeer“, 1945 geschrieben, die thematisch wie musikalisch eine Brücke zwischen Alter und Neuer Heimat schlug.
Dem Komponisten Joseph Tal hingegen schienen „diese Theorien zu einem Mittelmeer- und israelischen Stil etwas erzwungen – Ich bleibe doch immer noch dieser: Josef Tal.“
Die Veränderungen in der Musik wurden auch in dem Orchesterkonzert „Von Pan zu Peter Pan“ hörbar. Im Programm waren dabei eine Uraufführung der Lustspiel Ouvertüre von Alexander Zemlinsky und zwei Werke, die exemplarisch stehen für die Geschichte des 20. Jahrhunderts: Das eine ist Paul Frankenburgers „Pan“ aus dem Jahr 1931, das andere das Klavierkonzert op. 41, aus dem Jahr 1949, geschrieben von demselben Komponisten, der allerdings nunmehr als Paul Ben Haim firmierte und in Tel Aviv lebte.
Der Klang des Zerfalls
Das Sinfonische Gedicht „Pan“ war eine Reaktion auf eine „Zeit, in der alles zerfiel“, wie der Ben Haim Forscher und Biograph Yehoash Hirshberg erläuterte. Frankenburger schrieb es 1931, kurz nachdem er aus dem Dienst als Kapellmeister in Augsburg entlassen wurde, weil er Jude war. Ein letztes Mal wurde „Pan“ 1939 in Palästina aufgeführt. „Allerdings war spätestens mit dem Ausbruch des Krieges für Ben Heim das deutsche Kapitel abgeschlossen“, so Hirshberg: „Er wollte keine weiteren Aufführungen seiner deutschen Stücke.“
„Pan“ verstaubte in einem Archiv, bis die Festivalleiterin und Sopranistin Mimi Sheffer es vor Kurzem ausgrub, und es am Wochenende gemeinsam mit den Berliner Symphonikern mit starkem Ausdruck erstmals wieder zur Aufführung brachte. Im ansonsten an Strauss und Mahler erinnernden Werk brechen abrupte Pausen immer wieder die Harmonien, Crescendi lösen sich nicht in Wohlgefallen auf.
So sehr Ben Haim das deutsche Kapitel auch geschlossen hatte – seine musikalischen Wurzeln gab er nicht einfach auf. Er schrieb weiterhin europäische Musik, aber über seine Zusammenarbeit mit der jemenitischen Sängerin Bracha Tzfira lernte er neue Rhythmen und harmonische Zusammenhänge kennen. So schuf er eine Synthese zwischen östlicher und westlicher Musik, die beispielhaft in dem zweiten Höhepunkt des Konzerts erkennbar wurde: Das Klavierkonzert op. 41 verfasste er im Jahr 1949, nur wenige Wochen nach der Staatsgründung Israels.
Gila Goldstein, die sämtliche Klavierkonzerte Ben Haims aufgenommen hat, zog das Publikum so in den Bann, dass es überallhin mitging: ausgehend von der Aufbruchstimmung des ersten Satzes, „Vision“, über die flüsternden „Stimmen in der Nacht“, in denen die orientalischen Einflüsse immer deutlicher wurden hin zum fulminanten Tanz des dritten Satzes. Hier wurde Ben Haims Antwort auf die Brüche, Traumata und Chancen seines Lebens fühlbar.
„Das Festival schließt für mich einen Kreis, indem es die deutschen und israelischen Werke zusammen zur Aufführung bringt“, so Ben Avraham. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Festival auch einen neuen Anfang und eine verstärkte Rezeption von Paul Ben Haim bedeutet.
Dazu beitragen könnte ein weiterer Schatz von achtzig unveröffentlichten Kunstliedern aus Frankenburgers deutscher Phase, basierend u.a. auf Texten von Friedrich Nietzsche, Christian Morgenstern und Theodor Storm. Sheffer hat diese in Vergessenheit geratenen Werke gemeinsam mit Hirshberger aus dem Archiv geholt und für Deutschlandradio Kultur aufgenommen. Teile davon wurden ebenfalls am Wochenende präsentiert. Auch an diesen Werken wurde deutlich, wieviel mit dem Nationalsozialismus verloren gegangen ist, aber auch: wieviel noch zu entdecken ist.
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