Hongkong

20 Jahre nach der Übergabe an Peking: Viele Demokratie-Aktivisten wollen die offiziellen Feierlichkeiten am Samstag zum Protest nutzen

„Mit China muss man hart verhandeln“

Rückblick Vor 20 Jahren glaubte Anson Chan, ehemalige „Nummer 2“ der Kronkolonie, noch an Pekings Versprechungen. Heute zieht sie eine schmerzliche Bilanz

Anson Chan

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77, Verwaltungschefin des letzten britischen Gouverneurs von Hongkong. Heute leitet sie die Denkfabrik „Hongkong 2020“.

taz: Frau Chan, wie blickt die Mehrheit der Hongkonger heute auf den Tag der Übergabe vor 20 Jahren?

Anson Chan: Wissen Sie, wo­rüber sich das Pro-Peking-Lager besonders ärgert? 20 Jahre nach der Übergabe fühlen sich die meisten Hongkonger auch weiter nicht mit China verbunden. Im Gegenteil: Das Misstrauen ist größer denn je. Meine Erkenntnis: Patriotische Gefühle kann man nicht erzwingen. Ein Staat muss sich das verdienen. Solange die Hongkonger aber lesen müssen, dass auf dem chinesischen Festland Menschenrechtsanwälte in Haft gesteckt werden, die Presse unterdrückt wird und soziale Medien zensiert werden, gewinnt China die Herzen der Menschen nicht.

Sie waren 1997 die Garantin von Hongkongs Status quo.

Ja, ich habe damals gesagt: Macht euch keine Sorgen. Alles wird so bleiben, wie es ist. Hätte ich gewusst, wie es kommen wird – ich hätte das Amt nie angetreten.

Was ist das Problem?

Ich hätte nicht erwarte, wie rasch und konsequent Peking sein Versprechen bricht. Nicht nur dass China sich immer dreister in unsere Angelegenheiten einmischt und unsere Freiheiten sukzessive abbaut. Die junge Generation sieht keine Per­spek­tive mehr. Ihre Jobaussichten sind schlecht. Zugleich hat Hongkong die höchsten Immobilienpreise der Welt.

Was kann Hongkong tun?

Hongkongs Stärke liegt im Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“. Wenn die derzeitige Hongkonger Regierung zulässt, dass uns eine gut funktionierende Verwaltung, eine unabhängige Justiz und Informa­tions­freiheit genommen werden, ist Hongkong nicht mehr nötig. Wir unterscheiden uns dann nicht mehr von anderen chinesischen Städten. Unser Wert ist Vertrauen. Und das gilt es um jeden Preis zu erhalten.

Aber ist Peking nicht viel zu mächtig?

Keine Frage, die Führung in Peking versucht, über ihre Propagandamaschine Einfluss auf die Stadt auszuüben. Vor allem hat Peking unendlich viel Geld. Umso stärker muss sich eine Hongkonger Regierung zur Wehr setzen. Schon bei den Übergabeverhandlungen damals wussten wir: Mit der Führung in Peking muss man hart verhandeln. Sonst wird man nicht ernst genommen.

Ist Unabhängigkeit eine Option?

Nein, auf keinen Fall. Diese Debatte hat der letzte pekingtreue Regierungschef Cy Leung überhaupt erst befeuert. Dabei hatte bis dahin niemand die Unabhängigkeit gefordert. Das hatte Methode. Leung suchte einen Grund, uns Kritiker alle in Misskredit zu bringen.

Nun gibt es diese Forderung aber, vor allem von jungen Leuten.

Das ist eine sehr kleine Minderheit. Die meisten wissen, dass ein unabhängiges Hongkong gar nicht lebensfähig wäre. Zugleich ist diese Forderung sehr gefährlich. Für Peking ist die Ein-China-Politik sakrosankt. Wird sie infrage gestellt, ist die Führung auch bereit, zu harten Mitteln zu greifen.

Ihr Szenario für die nächsten 30 Jahre?

Auch die Mehrheit der Chinesen auf dem Festland ist mit dem derzeitigen politischen Status quo nicht zufrieden. Es wird in China noch große Umwälzungen geben. Ich hoffe, dass die Führung von sich aus die notwendigen Änderungen vornimmt. Versäumt sie das, wird es zum Knall kommen. Das wäre weder für China gut noch für Hongkong oder den Rest der Welt. Interview Felix Lee