TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Geteiltes Europa
Der Deutsche taugt nicht zum Europäer. Aus einem einfachen Grund: Er kann nicht schimpfen wie die anderen Europäer. Wo nämlich ganz Europa im Sexuellen schimpft, steckt der Deutsche in der Scheiße. So ähnlich jedenfalls hat das der Romanist Hans-Martin Gauger für sein Buch „Das Feuchte & das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache“ (C. H. Beck, 2012) herausgefunden und auf 257 Seiten bewiesen.
Während der Ungar seinem Gegenüber Christus ans Geschlecht wünscht, man sagt dort schlicht „Dass dich der Herr Christus ficke“, bei jedem nicht auffindbaren Schlüssel gleich mal „Wo in der Fotze ist …“ fragt und ein einfaches „Verschwinde doch“ mit „Geh in die Fotze der Jungfraumutter“ ausdrückt und man in den Niederlanden sich nicht beschissen, sondern „mösig“ fühlt, man sich nicht als „Scheißkerl“, sondern als „Hodenhannes“ beschimpft und ganz England dauernd „Fuck“ sagt, geradeso als leide man dort kollektiv an einem Tourette-Syndrom, und auch noch jede Menge Akronyme mit diesem Wort bildet, ja, während in Europa überall und ständig das Sexuelle bemüht wird, ist der Deutschsprachige ganz bei seinen Exkrementen: „Scheiße“, „Verpiss dich“, „Scheißtyp“. Der Österreicher gar kann das Schimpfen nicht mal von seiner alltäglichsten Verrichtung unterscheiden und flucht einen „Geh scheißn“. Was mag da los sein, in den österreichischen Därmen, wenn das zum Schimpfen reicht?
Aber vergessen wir nicht die Tragik hinter dem Ganzen. Denn was kann nicht alles Schlimmes resultieren aus der einfachen Unfähigkeit, assimiliert zu schimpfen. Recht überspannt etwa könnte dem Spanier erscheinen, was die Deutschen aus seinem „carajo“, seinem männlichen Glied, gemacht haben, das man in Spanien großzügig zum Schimpfwort degradiert. Der Deutsche hat es schlicht in „Karacho“ umgewandelt, in die motorisierte Geschwindigkeit also, wie Gauger beweist.
Ist der Deutsche zu feinfühlig, um im Sexuellen zu schimpfen, oder will er bewusst das Sexuelle nicht abwerten, oder ist er zu prüde, um es den anderen Europäern gleichzutun? Gauger weiß es auch nicht. Die Psychoanalyse möchte er nicht bemühen. Das hat vor ihm ja auch schon Slavoj Žižek gemacht, der den deutschen Idealismus aus der nationaltypischen Konstruktion der Kloschüssel ableitete.
Nein, man braucht nicht die Psychoanalyse, um sofort zu verstehen, dass hier nichts zusammenwachsen kann, solange man sich im Extremen nicht auf Augenhöhe begegnet. Anders betrachtet: Das beliebte deutsche „Arschloch“ bereitet wenig Gendertrouble. Es ist nicht speziell frauenverachtend und im Genus neutral. Also Europäer: Noch eine Anstrengung, wenn ihr Bundesstaatler sein wollt. Schimpft euch nicht beim Geschlecht!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen