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Soviel Kritik muss sein:JENS FISCHER über„DER KRÜPPEL VON INISHMAAN“Die Welt – eine Scheibe im Heartbreak Hotel

„Immer wenn ich traurig bin, trinke ich einen Korn“, so das Leitmotiv der Figuren

Klein, winzig, Inishmaan: Fünf umeinander drängelnde Bremer Theatermacher quetschen das Leben der neun Qua­dratkilometer großen Insel der Galway Bay auf eine zwei Quadratmeter große Scheibe. Mitten in der ironisch wohnzimmernden, rotplüschigen Kneipenkitsch-Schäbigkeit des Heartbreak Hotels hat Regisseur Jonathan Pröslers die Vorlage Martin McDonaghs „Der Krüppel von Insihmaan“ genutzt. Das 150-köpfige, zivilisatorisch unverdorben mythologisierte Kelten-Personal des steinigen Eilands wird auf ein knappes Dutzend beschädigter Stereotypen konzentriert, die eher debil als naturverbunden sind und Irland-Idylle mit Missbrauchsgeschichten katholischer Pfaffen entschönigen. Das klappt.

Unter Pröslers Regie erleben wir Faktoten, kostümiert in ärmlich gleichmacherischer Baumwollunterwäsche. Der geistigen Beschränkung entspricht die räumliche Enge, aus der sich auch überzeugende Bilder für den Anpassungsdruck in der sozialen Gruppe ergeben. Gegenseitige Abhängigkeit entlädt sich ungezügelt im Ausleben aggressiver Affekte. Meist aber in der Sehnsucht, diesem perspektivlos rohen Einerlei irgendwie, irgendwann mal zu entfliehen.

Mit Sanftmut liest sich Außenseiter Krüppel-Billy durch „Warten auf Godot“. Einerseits ein Insider-Gag, denn Prösler wollte eigentlich den Beckett-Klassiker inszenieren, nun aber auch literarisches Zeichen fürs ewig tatenlose Warten auf Erlösung. In diesem Fall kommt ein Godot-Ersatz allerdings als Hollywoodregisseur vorbei, der das Inseldasein im romantisierenden Folklore-Stil verfilmen möchte und Darsteller sucht.

Die inishmaanischen Lebensträumer werden zu Aufbruchsfantasierern, einige begeben sich sogar in den Auswanderungsmodus. Aber alle kehren wieder heim im Wissen: Anderswo ist es auch nicht besser.

„Immer wenn ich traurig bin, trinke ich einen Korn“, so lautet das mehrfach intonierte Leitmotiv der tragikomisch trunkenen Figuren, die so prima ins Heartbreak passen. Eine besondere Freude ist, wie Tobias Pflug jenseits von Gut und Böse immer wieder die Grenzen zur Groteskkomödie schleift mit seiner Menschendarstellung – und wie Helge Tramsen zwischen dem selbstverliebten Klatschmaul Jonny und der sich selbst hassenden, schnoddrig herben Helen hin und her changiert. Wie sie erst mit rohen Eiern wirft und dann Helens finalen Wandel zauberhaft verwirrt gestaltet: jenes zärtlich dem Krüppel-Billy entgegenwachsende Sympathiegefühl, inklusive Knutschlust. So happy endet der herzig derbe, kauzig komische Abend – ausverkauft mit gut 30 Zuschauern auf Getränkekisten und Thekenbrettern.

„Der Krüppel von Inishmaan“, Theater Punk Produktion, im Heartbreak Hotel, Feldstr. 20. Nächste Termine nach den Sommerferien. Infos auf: www.theaterpunk.de

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