Jürgen Gottschlich über den Marsch für Gerechtigkeit in der Türkei: Herausforderung für Erdoğan
Der Marsch für Gerechtigkeit in der Türkei entwickelt sich immer mehr zu einer echten Herausforderung für Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Seit der Marsch am 15. Juni vom Vorsitzenden der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, begonnen wurde, hat er sich zu einer regelrechten Welle entwickelt, die jetzt wie ein politischer Tsunami durch das Land schwappt. Jeder Mann und jede Frau im Land redet darüber. Selbst die regierungsnahen Medien müssen darüber berichten, wenn auch nur denunziatorisch.
Kılıçdaroğlu ist es mit seinen Vorgaben – keine Parteipolitik und völlige Konzentration auf die Kernforderung nach Gerechtigkeit – gelungen, alle Menschen anzusprechen, die unter der Repression, den willkürlichen Festnahmen und Entlassungen seit der Verhängung des Ausnahmezustands am 20. Juli vergangenen Jahres leiden. Und das sind Millionen, wenn man über die unmittelbar Betroffenen hinaus auch deren Familien, Freunde und Bekannte dazuzählt. Viele von ihnen marschieren nun mit, und es werden jeden Tag mehr.
Anfangs spottete die Regierung, nun gerät sie langsam in Panik. Sie versucht erneut, alle Kritiker zu Terroristen zu stempeln, doch niemand lässt sich mehr davon beeindrucken. Mit der Schärfe der Rhetorik der Regierung wächst aber auch die Gefahr eines gewaltsamen Angriffs auf den Marsch. Für alle, die dabei sind, ist der Marsch für Gerechtigkeit längst zu einem Kristallisationspunkt geworden, in dem ihre Wut und Verzweiflung aufgenommen wird und sich in neue Hoffnung umwandelt. An diesem Wochenende werden die Marschierer in Istanbul ankommen und ihre Erwartungen bei einer Massenkundgebung lautstark artikulieren.
Die Hoffnung ist, dass das Momentum des Marschs umgewandelt werden kann in Aktionen gegen die drohende Diktatur im Land – und dass irgendwann wieder Gerechtigkeit und eine unabhängige Justiz zur Grundlage des Zusammenlebens werden.
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