„Für den Fall, dass was passiert“

G20-Gipfel Bremer Polizisten produzieren zum Hamburger Gipfel auswärts massiv Überstunden und stellen sich zu Hause auf autonome „Ausweich-Aktionen“ ein

Kai Ditzel

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ist Einsatzleiter der Bremer Polizei und verantwortlich für den G20-Einsatz in Hamburg.

Interview Klaus Wolschner

taz: Herr Ditzel, ist es eine gute Idee, den G20-Gipfel mitten in einer Großstadt zu machen?

Kai Ditzel: Wenn man mich gefragt hätte, ob man so was in Bremen machen sollte, hätte ich gesagt: Bitte nicht. Ich will mich nicht in die Bundespolitik einmischen, aber aus polizeilicher Sicht gibt es bessere Lösungen als eine Großstadt. Es gibt doch Orte, die schwer erreichbar und gut zu sichern sind. Wir müssten Bremen für diese Tage lahmlegen, Hamburg wird auch das Problem haben, wenn man allein daran denkt, was für Evakuierungsrouten es geben muss für einige Staatsgäste für den Fall, dass was passiert. Dafür muss man Hauptstraßen freihalten. Man muss mit Großdemonstrationen in der Stadt rechnen, das ist schon eine Herausforderung. Es gibt durchaus kritische Stimmen in der Polizei, die sagen: Es hätte andere Orte geben können.

Sie haben schon vor Tagen Beamte nach Hamburg geschickt, obwohl Bremen doch keinen Überfluss an Personal hat?

Wir haben teilweise umgestellt auf 12-Stunden-Dienste, wir haben „dienstfrei“ gestrichen, wir haben Aus- und Fortbildungen gestrichen, wir haben Kräfte umstrukturiert. Bei der Breminale, die ja gleichzeitig ist, werden Kollegen Dienst versehen, die normalerweise Bürotätigkeiten machen. Bei den Streifenwagen wird man nichts merken, aber Akten bleiben liegen. Kollegen müssen teilweise sechs Tage am Stück arbeiten, vier Nachtdienste hintereinander. An vier von sechs Wochenenden haben die meisten Dienst. Es werden massiv Überstunden produziert.

Könnte Bremen sagen: Nein, geht nicht?

Nein. Wir sind auch darauf angewiesen, dass andere Länder uns helfen. Es ist daher selbstverständlich, dass wir für Hamburg alles möglich machen. Schon wenn wir an die Fußballspiele denken – wir brauchen ständig Unterstützung. Auch bei dem Neonazitreffen am „Tag der deutschen Patrioten“, das kurzfristig aus Hamburg nach Bremen umdirigiert wurde, haben wir sehr schnell Unterstützung aus anderen Bundesländern gebraucht und bekommen.

Und die Kollegen, die seit Tagen in Hamburg sind – langweilen die sich, weil nichts passiert?

Das kommt darauf an, wie man eingesetzt wird. Sie spielen auf die Vorfälle mit den Berliner Beamten an. Ich halte nichts von Ferndiagnosen. Ich weiß nicht, ob die Berliner Kollegen wirklich frei gehabt haben. Natürlich kann man darüber streiten, ob so was ein richtiges Freizeitverhalten ist. Unsere Einheiten werden so eingesetzt, dass sie ihre Dienste haben und froh sind, wenn sie eine Pause haben. Unsere Kräfte sind anders und besser untergebracht. Ich denke, dass unsere Kräfte damit anders umgehen.

In Bremen brannten Polizeiautos, es gab eine friedliche Demonstration. Haben Sie Sorge, dass mehr passieren wird?

Auch Sachbeschädigung an Gebäuden gab es, Farbschmierereien. Wir haben gleichzeitig Breminale, die Sielwall-Kreuzung ist immer ein symbolischer Ort. Wir setzen alles daran, Ausweich-Aktionen zu verhindern für das Szenario, dass einige frustriert aus Hamburg zurückkommen, weil aufgrund der massiven Polizeipräsenz da in ihrem Sinne nichts geklappt hat. Auf linksunten.indymedia.org wird zum Sturm geblasen und aufgerufen, mehr Straftaten zu begehen. Wir gehen davon aus, dass einige nicht nach Hamburg fahren. Aber wir gucken derzeit in eine Glaskugel.

Die Anschläge auf Polizeifahrzeuge zeigen ein höheres Gewaltpotenzial.

Wenn so ein Tank Feuer fängt, besteht eine große Gefahr, dass das Feuer auf ein Gebäude übergeht. Ich weiß auch überhaupt nicht, was das bringen soll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Brandstiftung irgendjemanden dazu bringt, gegen den G20-Gipfel zu sein, der vorher dafür war. Wenn Einsatzfahrzeuge der Polizei brennen, freut das Straftäter, aber alle anderen müssen Sorge haben, dass die Polizei nicht mehr dahin kommt, wo sie gebraucht wird. Für mich ist das unerträglich.

In Woltmershausen hat die Polizei ein Schild aufgestellt: „Parkplatz für zivile Fahrzeuge der Polizei“. War das schlau?

Das war im Grunde ein Hinweis: Das hier sind Bullenautos. Da gebe ich Ihnen recht, das war nicht optimal. Wir versuchen, Polizeifahrzeuge auf gesichertem Gelände abzustellen.

Finden sie auf den Internetseiten konkrete Hinweise?

Die sagen ja ganz direkt: Passt auf, die Bullen lesen auch mit. Aber wenn sie dort ihre Taten als Erfolge rühmen, dann hilft uns das, die Vorfälle einzuordnen.

Wird es in Bremen zentrale Aktionen geben?

Zwei Kundgebungen sind angemeldet, am 7. und 8. Juli, eine vom Friedensforum und eine aus der linken Szene. Aber eigentlich ist die Losung: Alle fahren nach Hamburg. Wir hatten vor drei Wochen einen linken Aufzug durch die Innenstadt. Wir suchen im Vorfeld den Dialog, versuchen zu deeskalieren. Als wir festgestellt haben, dass die friedlich waren, haben wir unsere Kräfte zurückgezogen. Ich stehe zu Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit. Aber wenn es aggressive Lautsprecherdurchsagen gibt oder Vermummung, dann müssen wir uns auch durchsetzen.

Und die Breminale?

Wir werden da keine Betonsperren hinstellen, aber an den Zufahrtstraßen werden Kräfte stehen. Es gibt aber nicht nur die Herausforderung des Terrorismus. Im vorigen Jahr hatten wir Sexualstraftaten durch junge Afghanen und Syrer. Wir haben Zivilkräfte im Einsatz, aber wir wollen, dass die Veranstaltung ihren freien Charakter behält.