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Einmal Aneignung, bitte

Ausstellung Von Kühne + Nagel zensierte Protestkunst feiert dank der Meisterschüler­ausstellung in der Weserburg ein preisgekröntes Comeback in der Öffentlichkeit

Kunst vom Bau: neun alte kaputte Fenster als Protestbotschaft Fotos: Christina Stohn, Weserburg

von Gareth Joswig

Dieser Text ist Kunst. Man könnte auch sagen: Er ist die Reflexion der Reflexion einer Reflexion. Und dadurch, dass Sie ihn lesen, ist er eine Deutung, die in der Öffentlichkeit wirkt, und die Aneignung einer Realität durch den Autor, des Redakteurs und dessen Tageszeitung abbildet. So jedenfalls versteht der Meisterschüler Felix Dreesen seine Werkgruppe „Patches of Protest“, deren Objekte an eine regionale Debatte anknüpfen, deren Bestandteile er sich künstlerisch angeeignet hat. So etwa ein Zeitungsartikel zum Thema. Dreesens Werk ist Teil der Meisterschülerausstellung „Oh Wow“ der Hochschule für Künste Bremen und ist neben den Arbeiten von 16 weiteren jungen KünstlerInnen bis zum Oktober in der Weserburg zu sehen.

Die „vielschichtige und mehrdeutige Lesbarkeit“ von Dreesens Werk war es dann auch, welche die Jury der Karin-Hollweg-Stiftung davon überzeugte, ihm ihren renommierten Kunstförderpreis in Höhe von 15.000 Euro zu verleihen. Sein Werk handelt von der Reflektion und Öffentlichkeit einer Protestaktion gegen die NS-Vergangenheit des Logistikunternehmens Kühne + Nagel.

Zwei Elemente hat die Werkgruppe „Patches of Protest“ bisher: Einen nachgedruckten Zeitungsartikel aus dem Weser-Kurier und neun großflächig bemalte, schmutzige und beschädigte Fenster, die an die Museumswände lehnen. In die Fenster sind große Buchstaben und Zahlen geschrieben, die mit weißer Farbe grundiert wurden. Die Buchstaben ergeben in der ausgestellten Reihenfolge scheinbar wenig Sinn, ihre Botschaft bleibt kryptisch.

Aber da ist ja noch dieser Bericht aus dem Bremen-Teil des Weser-Kuriers. Der nämlich ordnet diese Fenster in Bild und Text einer Gebäudefassade zu: Überschrift „Protest an der Ruine“, Unterzeile „Unbekannte erinnern auf der Fassade von Kühne + Nagel an die NS-Vergangenheit des Unternehmens“. Das Foto zeigt einen zur Hälfte abgerissenen Büroklotz – es ist der ehemalige Firmensitz von Kühne + Nagel an der Bremer Schlachte – ist eine Häuserfront mit bemalten Fenster zu sehen. In Kapitalen steht dort, von außen weithin sichtbar: „500 SCHIFFE 735 ZÜGE 1942-1944 MEHR ALS NUR EIN DIENSTLEISTER … – – – – GEGEN DAS VERGESSEN“.

Unbekannte hatten in einer Nacht Anfang Februar 90 Fenster der Häuserfront bemalt und mit der Botschaft versehen, um das beharrliche Schweigen des Logistikunternehmens zur eigenen Nazi-Vergangenheit zu kommentieren. Als Mitorganisator der sogenannten „Arisierung“ im Nationalsozialismus war der bremische Logistikkonzern Profiteur und Wegbereiter der Enteignung zahlreicher deportierter JüdInnen im Dritten Reich. Ein Kapitel, dass der Konzern in Firmenjubiläen und historischer Aufarbeitung beharrlich ausblendet und totzuschweigen versucht. Zum Glück erfolglos – ein Historiker fand Belege für die Verstrickungen der Bremer Logistiker im von Nazis besetzten Westeuropa, diese Zeitung berichtete detailliert über die Geschichtsvergessenheit der Logistiker und demnächst baut eine Initiative der taz, gestärkt per Senats- und Bürgerschaftsbeschluss, ein Crowdfunding-Denkmal in der Nähe des neuen Bremer Firmensitzes des heute drittgrößten Transportunternehmens der Welt, um an die ausgeblendeten Verbrechen in der Firmengeschichte zu erinnern.

Wann ist Politik ästhetisch und wann ist Ästhetik politisch? Und was stimmt überhaupt?

Die bemalten Fenster indes wurden noch am selben Tag entfernt, das Unternehmen selbst kommentierte weder die Aktion noch erstattete es Anzeige gegen deren UrheberInnen – vielsagendes Schweigen. Dreesen, der die Protestaktion zufällig gesehen haben will, kam die Idee, die Fenster als historische Artefakte im musealen Kontext zu archivieren. Woher er die Fenster hat, verrät er nicht. Klar ist jedoch, dass die unterdrückte und zerstörte Protestbotschaft durch seine Arbeit in Teilen zurück in den öffentlichen Raum findet. Die Buchstaben sind in der richtigen Reihenfolge ausgestellt, können aber doch nur fragmentarisch das aufbereiten, was einst an der Fassade prangte. Betrachtet man sie im Detail, entdeckt man Spiegelungen der anderen Botschaften, andere Besucher der Ausstellung laufen durchs Bild, man selbst ist zu sehen.

In einer Galerie kann nur eine ästhetische Betrachtung des Politischen stattfinden. Vielleicht fragen sie: Wie können Kunst und Medien in die Gesellschaft wirken, Diskurse verändern und welche Rolle spielen dabei die Medien? Wann ist Politik ästhetisch und wann Ästhetik politisch? Und was stimmt überhaupt?

Das sind Fragen, mit denen sich auch die übrigen MeisterschülerInnen der HfK in der vielfältigen Ausstellung auseinandersetzten. Jonina Mjöll Thormosdottir hat sich in ihrer Arbeit beispielsweise mit Transformations- und Verwandlungsprozessen auseinandergesetzt. Sie hat natürliche Vogelknochenformen erst aufgegriffen – und dann verändert, außerdem lässt sie ein aus Eis nachgebildetes Papierschiffchen zwischen vielen Glasschiffchen schmelzen.

Allerdings findet sich auch klassische Malerei bei den MeisterschülerInnen. Stephan Fritsch malt fast fotorealistisch, aber durch leichte Veränderungen führen seine Porträts ins Surreale. Ein Bild zeigt etwa ein traurig aussehendes Kind mit schwarzer Farbe im Gesicht. Seine Werke erzählen eine Geschichte, deren Deutung offen bleibt.

Eine andere Künstlerin ,Nora Olearius, fragt konkret nach Klimaveränderungen: Sie hat die exakten Proportionen ihres Ausstellungsraumes vermessen und ein Thermohygrostat aufgestellt, das kontinuierlich die klimatischen Raumparameter misst und die Messergebnisse als einen langen Papierbogen auf den Ausstellungsboden spuckt. Die Gegenwart von atmenden, transpirierenden Menschen sorgt für Klimaschwankungen, die Temperaturen verändern sich. Das in vielen Ausstellungen übliche Gerät funktioniert seit vielen Jahrzehnten immer gleich: Geeicht ist es mit menschlichen Haaren, die klimatische Bedingungen wissenschaftlich sehr genau messen können. Am besten funktioniert es mit blonden Haaren.

Die Künstlerin jedoch hat in das handelsübliche Messgerät einen Fehler eingebaut: Sie hat ihre eigenen, brünetten Haare benutzt. Hat sie eine künstliche Fehlerquelle erzeugt, um ihre physisch exakten Berechnungen – „da ist kein Fehler drin“ – zu konterkarieren? Jedenfalls hat sie sich ihren Raum in der Ausstellung sowie wissenschaftliche Messverfahren künstlerisch zu eigen gemacht.

Die Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Aneignung beschäftigte auch Felix Dreesen: „Der Artikel ist ein gleichwertiger Teil dieser Werkgruppe“, sagt er, „es können noch weitere Dinge hinzukommen. Der Artikel, den du schreibst, ist eine erneute Reflektion des Protests.“ Dreesen findet die Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Aneignung spannend. Dadurch, dass er den Lokalaufmacher unverändert abbildet, will er die mediale Deutungshoheit entlarven und auf Ungenauigkeiten der Interpretation aufmerksam machen. Denn gleich der erste Satz des Weser-Kurier-Artikels ist nachprüfbar falsch: „Klare Worte aus Klebeband.“ Besucher der Ausstellung können allerdings sehr genau sehen, dass die Buchstaben aufgemalt sind. Und ebenso unscharf endet der Text: „Am Freitag rissen Bauarbeiter die Fenster aus dem Gebäude. Und mit ihnen die Botschaft aus Klebeband.“ Dreesen sagt: „Sofort der erste Satz ist falsch. Und auch der letzte Satz stimmt nicht. Das sind Anführungszeichen von ungenauer Berichterstattung.“ Aber immerhin ist aus dem Text ein Kunstwerk geworden.

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