Klotzen mit Klötzen: Einkaufs-Ufo am Hafen
Im Überseequartier soll Hamburgs größtes Einkaufszentrum entstehen. Die Einzelhändler der City macht das nervös.
Der Protest richtet sich gegen Hamburgs bisher größtes geplantes Einkaufszentrum. Als die CDU-Bürgerschaftsfraktion jetzt zu einem Diskussionsabend am kommenden Montag einlud, war daraus sogar „Norddeutschlands größtes Shopping-Areal“ geworden.
Rund 80.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche sollen bis 2021 im südlichen Überseequartier entstehen, dazu Büros und Hotellerie, ein schmuckes Kreuzfahrtterminal anstelle des existierenden, ein Multiplex-Kino und Wohnungen – auf insgesamt 260.000 Quadratmeter Fläche.
Bauherr ist der französische Einkaufs- und Messezentren-Riese Unibail-Rodamco, der nach eigenen Angaben nach etwas über eine Milliarde Euro investieren will. Und damit dürfte er nicht zuletzt dem Bürgermeister eine Freude bereiten: Der setzte sich Anfang April wieder mal einen Bauarbeiterhelm auf, um auf der Brachfläche symbolisch spatenzustechen.
Diskussion „Belebung der Innenstadt“ mit Jürgen Bruns-Berentelg (Geschäftsführung Hafencity Hamburg GmbH), Brigitte Engler (City Management), Heinrich Grüter (Trägerverbund Projekt Innenstadt e. V.), Iris Neitmann (Initiative „Lebenswerte Hafencity“) sowie André Trepoll und David Erkalp (CDU-Bürgerschaftsfraktion): Mo, 26. 6., 18.30 Uhr, Rathaus. Anmeldung erbeten bis 22. Juni per Mail: anmeldung@cdu-hamburg.de
Info- und Diskussionsabend „Überseequartier Süd – ein Gewinn für Hamburg?“ mit Iris Neitmann, Heinrich Grüter, Michael Hartung (Unibail-Rodamco), Dieter Polkowski (Amt für Landesplanung und Stadtentwicklung), Dirk Kienscherf (SPD-Bürgerschaftsfraktion), Pastor Frank Engelbrecht (Hauptkirche St. Katharinen) und Volkwin Marg (Architekt und Stadtplaner): 17. 7., 19 Uhr, Patriotische Gesellschaft
Hatte die Hafencity zuletzt eher schlechte Nachrichten beschert, konnte Olaf Scholz (SPD) nun schon die zweite sprichwörtlich vom Eis geholte Kuh präsentieren – nach jener namens „Elphi“. Denn in Folge der Immobilien- und Finanzkrise hatten sich die ursprünglichen Entwickler des Areals zurückgezogen, die Stadt brauchte Ersatz.
„Wir wollen ein lebendiges Viertel“, sagte Scholz damals vor der Presse, und das klingt nicht bloß, als komme es direkt aus der Kommunikationsabteilung des Bauherrn: Dieser kündigte am selben Tag „ein neues, lebendiges Stadtquartier“ an.
Für Kritikerin Neitmann und die Initiative ist solche Vollmundigkeit aber schlicht unwahr: Das geplante „Ufo“ sei viel zu groß für den Stadtteil. Es werde eben gerade kein offenes Viertel, sondern “ein in sich geschlossener Klotz“ und verstoße damit gegen all das, was sich die Stadt für die Hafencity vorgenommen habe: Kleinteiligkeit etwa und eine abgestimmte Planung.
Mehr Abstimmung, mehr Rücksichtnahme, das wünschen sich auch die bereits heute in der Innenstadt ansässigen Geschäfte, womit sie bei FDP und CDU auf Unterstützung stoßen: Neben der erwähnten CDU-Veranstaltung hat die FDP das Thema „Innenstadt stärken und Überseequartier anbinden“ in die Bürgerschaft eingebracht.
Seitens Senat, Hafencity-GmbH und Investor wird die neue Mall-die-keine-sein-Soll als Erweiterung der Innenstadt deklariert – um rund ein Viertel der dort vorhandenen Flächen. Für Neitmann und wohl auch so manchen Ladenbetreiber sind aber die Innenstadt und das Überseequartier nicht dasselbe, sondern dafür schlicht zu weit voneinander entfernt: knapp anderthalb Kilometer und bis zu sechs Hindernisse dazwischen, mehrspurige Straßen, Fleete und derlei.
„Die Fußwege-Distanz ist zu groß, zu lang“, sagte vergangenen Donnerstag im Stadtentwicklungsausschuss auch der Braunschweiger Stadtplaner Holger Pump-Uhlmann, eine Kapazität in Sachen Einkaufszentren, der sich in der Vergangenheit immer wieder mit deren allzu optimistischen Betreibern angelegt hat. „Das wird immer ein abgesetzter Einzelhandelsstandort sein, der am Rande der City liegt.“
Für die bis zu 50.000 prognostizierten Besucher plant Unibail-Rodamco knapp 3.000 Parkplätze. In den Augen von Kritikern ein Anreiz, mit dem Auto zu kommen – die Folgen seien mehr Lärm und schlechtere Luft, auch für die nahegelegenen Kitas und eine Schule. Auf bis zu 25.000 Fahrzeuge täglich beziffert der Rechtsanwalt Michael Günther den erwarteten Verkehrszuwachs, wenn der Bau erst fertig ist.
Er vertritt fünf benachbarte Wohnungseigentümer und hat in deren Namen einen Eilantrag auf Baustopp beim Verwaltungsgericht eingereicht: Die zu erwartende zusätzliche Verkehrsbelastung komme einer Enteignung nahe, so der Jurist: Eine gesunde Wohnnutzung sei dann kaum mehr möglich. Mit einer Entscheidung über den Antrag rechnet Günther in vier bis fünf Wochen, derweil hat das Gericht die Stadt zu einer Stellungnahme aufgefordert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“