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Der Vinylmogul vom Schlesi

SCHWARZES GOLD „Schallplatten zu hören ist ein Grundbedürfnis“, sagt Mathias Gordon. Er muss es wissen, denn in Kreuzberg betreibt er einen florierenden Online-Plattenhandel, der selbst Ernst Mosch nach Japan verkloppt

Schallplattensammlung auf einem Flohmarkt Foto: Sascha Steinach/dpa/picture alliance

von Andreas Hartmann

Im Büro von Record Sale in einem Hinterhof am Schlesischen Tor herrscht emsiges Treiben. Alles dreht sich hier um den An- und Verkauf von Schallplatten, vor allem von gebrauchten. Zig Mitarbeiter prüfen im Akkord die neu angekommene Ware, Zustand, eventuelle Kratzer, Art der Pressung, alles wird gecheckt, Wert und Preis der Platte taxiert und in die Datenbank der Firma eingespeist.

Mit dem Bild des knurrigen Berliner Second-Hand-Plattenhändlers, der versucht, ein paar Rolling-Stones-Platten bei Touristen loszuwerden, hat das hier allerdings nichts zu tun. Record Sale verkauft gebrauchte Schallplatten ausschließlich über das Internet, und das im ganz großen Stil, weltweit. Mit ihren circa 700.000 auf der Homepage angebotenen Platten ist die Firma die größte ihrer Art auf der ganzen Welt. Das Amazon für gebrauchte Schallplatten hat seinen Sitz hier in Kreuzberg.

Mathias Gordon, der Herrscher dieses Schallplattenimperiums, macht letztlich nichts anderes als so viele andere auch heutzutage, nur macht er das eben in ganz anderen Dimensionen. Er zeigt auf eine Kiste mit Platten in seinem Büro: „Das ist ein kleiner Teil der Platten, die ich gerade in der Schweiz aufgekauft habe, den ganzen Nachlass der Schallplattenladenkette Zero Zero. 600.000 Platten insgesamt.“ Mehrmals sei er selbst nach Zürich gefahren, bis der Deal dann endgültig eingetütet war. Die zig Beatles-Platten in dem Karton gehen später an den Beatles-Kenner unter seinen Plattenprüfern, sagt er.

Das Amazon für gebrauchte Schallplatten hat seinen Sitz hier in Kreuzberg

Mathias Gordon nennt sich selbst einen Musikliebhaber und Schallplattensammler, auch wenn er in seiner eigenen Wohnung nicht mehr als 2.000 Scheiben stehen hat. Früher habe er Konzerte in Berlin veranstaltet, Anfang der nuller Jahre einen Plattenladen in Mitte betrieben. In der Zeit habe er dann damit begonnen, Platten über Ebay zu verkaufen. „Ich hatte eine kleine Sammlung von ungefähr 300 Platten geerbt und die dann gewinnbringend über das Internet verkauft. Von da an ging es einfach immer weiter.“ Er baute sich seine erste eigene Homepage zusammen, gab den Plattenladen in Mitte irgendwann auf und avancierte langsam zum professionellen Onlinehändler von gebrauchten Schallplatten. „Im Internet Vinyl zu verkaufen entpuppte sich als die Nische, wo man echt noch was reißen konnte“, sagt er. Schon Anfang dieses Jahrzehnts, noch in der Zeit, bevor das Feuilleton das Vinyl-Revival diskutierte, verschickte seine Firma jährlich um die 60.000 Schallplatten.

Inzwischen beschäftigt er 50 Mitarbeiter, in mehreren Schichten macht ein Großteil von ihnen den ganzen Tag nichts anderes, als immer weiter neu reingekommenes Vinyl zu checken. Alle reden inzwischen wieder von Vinyl, die Verkaufszahlen von Schallplatten steigen seit Jahren – es sieht so aus, als habe Gordon zur rechten Zeit alles richtig gemacht.

Aber hat er denn keine Angst davor, dass die Lust auf Schallplatten auch wieder geringer oder die Ware knapp werden könnte? Gordon winkt lässig ab. „Schallplatten zu hören ist ein Grundbedürfnis“, sagt der 47-Jährige, zudem: „Das mit dem Vinylhype wird völlig überschätzt. Es gibt keinen Hype. 80 Prozent unserer Kunden haben auch schon vor dem vermeintlichen Comeback der Schallplatte Vinyl gekauft.“ Und würden dies demnach auch danach weiter tun. Außerdem sei es immer noch „überhaupt kein Problem, an Schallplattensammlungen heranzukommen. Kaufen und verkaufen – es ist ein ewiger Kreislauf.“

Mathias Gordon Foto: privat

Das Beispiel Schweiz zeigt, dass Gordon nicht darauf wartet, dass ihm irgendwo im Kiez jemand ein paar der geerbten schwarzen Staubfänger der Großeltern anbietet. Die nimmt er auch, aber er kauft weltweit ein. Vor Kurzem erst habe er etwa zigtausend Platten aus einer Sammlung in Kolumbien aufgekauft, da sei dann auch viel Zeug in unbrauchbarem Zustand darunter gewesen, aber insgesamt habe sich für ihn sogar diese Reise bis nach Lateinamerika gelohnt. Platten, deren Zustand zu miserabel für den Weiterverkauf sind, landen bei Record Sale dann einfach im Müll. „Wir sind“, so sagt Mathias Gordon, „in gewisser Weise ja auch ein Recyclingunternehmen.“

Wirklich wählerisch ist Gordon beim Ankauf nicht, das erlaubt ihm sein Geschäftsmodell. Wer in Berlin die Volksmusiksammlung seiner Eltern zum nächsten Plattenhändler schleppt, blitzt damit im Normalfall ab. „Eine Platte von Ernst Mosch“, sagt Gordon dagegen, „geht bei uns vielleicht aber noch nach Japan.“ Überhaupt gehe circa 50 bis 60 Prozent seiner Ware ins Ausland. Als Teil des ewigen Vinyl-Kreislaufs.

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