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Internationale Kneipentour: Jens Fischer über den Saisonstart im „Golden City“Feucht-fröhliche Stadtentwicklung

Gute Stimmung in der Geisterstadt am Europahafen Foto: Golden City Bremen

Premiere klappt immer. Sehen und gesehen werden. Unterstützer feiern ihre Unterstützung, Fans ihren guten Geschmack. Und ganz viele einfach sich selbst. 200 Menschen bejubelten tanzend die Eröffnung der 5. „Golden City“-Saison. Ob das neu ausgerichtete Projekt funktioniert, muss sich im Spielplanalltag zeigen, den über 50 Programmpunkte strukturieren. Wir schauten am Tag nach der Premiere vorbei, ein gutes Dutzend Gäste kam in die temporäre Hafenbar – und ein halbes Dutzend versammelte sich beim diesjährigen Partner, den Kulturhaupstadt-2021-Machern im griechischen Elefsina. Deutschlands Haushaltsnotlagenland trifft Europas Haushaltsnotlagenland.

Bisher versuchte die Bar-Crew mit Spelunken-Charme einen winzigen Rest des alten Hafenambientes ins pikobello klotzig überbaute Hafenareal zu nostalgisieren. Der abends verwaist daliegende Reichtum der Überseestadt soll belebt, Menschen müssen in den Business-Distrikt gelockt werden. Dort fehle eindeutig das plietsche Volk aus Walle, meint eine gebürtige Wallerin: „Golden City“-Mastermind Frauke Wilhelm. Denn das Areal wird nicht von Anwohnern gestaltet, sondern durch Stadtentwickler erfunden. Im „Golden City“ wird über Möglichkeiten diskutiert, wie sich der Stadtteil aus der Retorte auf 300 Hektar als etwas erschaffen ließe, das nicht steif und kalt wirkt, sondern belebt und urban – gleichzeitig Heimat wäre und ein Magnet für Touristen. Diesen Stadtteildialog inklusive Revitalisierungs-Aktionen erweitert Wilhelm nun und klinkt sich ein in den knirschenden europäischen Diskurs. Spielt mit Partnerin Nomena Struß die Eurovisionshymne auf Quer- und Blockflöte, serviert Schnaps und schaltet mit einer Live-Übersetzerin über den „mystirio kanali“, auch als Skype bekannt, zu den Kulturaustausch-Partnern am Mittelmeer. Die haben in Elefsina die ehemaligen Umkleidekabinen badewilliger US-Soldaten mit anliegendem Open-Air-Kino auf einem verlassenen Navy-Stützpunkt besetzt. Sie verklären den Ort als Bar „O’Fonias“, obwohl es sich noch um fast leere Räume handelt, in denen Alkoholausschank nicht erlaubt ist.

„Recherche am Bildschirm“, nennt Wilhelm den Austausch. Man könne voneinander lernen, Elefsina sei genau wie Bremen. Nämlich angesichts von Industrie- und Hafenbrachen sowie hoher Arbeitslosigkeit mit Strukturwandelei beschäftigt und auf der Suche nach neuen Identitäten in alten Gemäuern. Wobei auch die griechischen Kulturhauptstadtmacher die Kunst als Mittel sozialer Stadtentwicklung nutzen wollen. Wie wichtig das sei, hätten in Bremen Wirtschaftsförderung und Bausenator erkannt und mit Subventionen belohnt, die „Golden City“-Arbeit mit Geflüchteten sei auch der Sozialsenatorin Unterstützung wert. „Nur Kulturförderung ist nicht dabei“, bedauert Wilhelm. Aber es gibt einen Förderkreis mit 23 Mitgliedern, die 4.000 Euro eingelegt haben. Gut 40 Prozent des Jahresetats wurden 2016 durch Sponsoring der vor Ort ansässigen Unternehmen finanziert, knapp 40 Prozent durch Eintrittsgelder selbst erwirtschaftet: 60.000 Euro.

Gefeiert werden im „Golden City“ bunte Europa-Abende im Schunkeltakt mit Heimorgel-Sound. Ein Mix aus Dokutheater, Talkshow, Lecture Performance und Powerpoint-Präsentation. Filme zur Kultur- und Sozialgeschichte der Hafenviertel in Bremen und Elefsina sind zu sehen. Die letzten Zeitzeugen maritimer Malocherzeiten kommen zu Wort: Matrosen, Hafenarbeiter, Exprostituierte – und Menschen aus der Bremer „Griechen-Szene“ blättern ihre Gastarbeiter-Vergangenheit auf.

Die Kleinkunstalbereien und der volkstheatrale Schabernack der letzten „Golden City“-Jahre treten merklich zurück. Sodass nicht mehr die quietschfidelen, von Wilhelm & Co. gespielten Quatsch-Comedy-Typen die Abende beherrschen, sondern ihre Darsteller als interessierte Moderatoren. Die was verstehen, entdecken und vermitteln wollen. Das ist ein Qualitätssprung für das Projekt, naturgemäß aber wohl keiner in Sachen Zuschauerzahlen. Dabei lohnt ein Abend im „Golden City“ schon wegen der Lage: Am Fuß der mit Sitzkissen geschmückten, für Riesen dimensionierten Treppenstufen am Kopf des Europahafens. An die Kaimauern drückt sich die Kneipen-Installation aus recyceltem Holzsperrmüll, der in ein Stahlskelett gequetscht ist. Halbierte Ölfässer wurden zum Dach formiert.

Der abendliche Sehnsuchtsblick geht vom „Golden City“ in den mit Windrädern geschmückten Sonnuntergang. Rechter Hand kann man teuer wohnen, linker Hand teuer einkaufen. Dass in diesem Viertel die Kompromisse zwischen städtebaulichen Ideen, Investment- und Kulturinteressen sowie sozialen Ansprüchen nicht nur zum Vorteil des Profits geschlossen werden, dafür steht die architektonische Intervention als kunterbuntes Ideen-Kraftwerk der kulturellen Aufforstung. Daher herrscht Bedauern, dass ein Compagnon bereits aufgibt: Der am Pier gegenüber eingemietete Buchladen zieht zurück nach Walle. Aber es gibt auch Anzeichen einer langsam lebendig werdenden Überseestadt: Vor Aldi habe sie kürzlich erstmals einen Obdachlosen betteln gesehen, erzählt Wilhelm.

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