flugzeuge, die nach 22 Uhr auf dem hamburg-Airport starten oder landen, sollen höhere Aufschläge bezahlen. in den meisten fällen dürfte dafür die portokasse reichen: Fliegen ist billig, aber die Pest für Flughafen-Anwohner
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Wie kommt ihr denn zurück?“, frage ich meinen Sohn, der in den Ferien bei Leuten mitfährt, nach Südfrankreich. „Zurück fahren wir mit dem Zug“, er meint sich und seine Freundin. „Das ist bestimmt nicht billig“, sage ich. Er schüttelt den Kopf. Er muss es von seinem Geld bezahlen, seinem gesparten Taschengeld. „Die eine muss auch schon früher zurück, und die fliegt“, sagt er. „Weißt du, was die bezahlt für den Flug? Sechsunddreißig Euro.“ Ich nicke und bin ein bisschen erstaunt. Es gibt eine Jugend, die will nicht fliegen, die will es gut machen, richtig, die ist bereit, dafür etwas zu opfern.
Wir wohnen in Hamburg-Eilbek, an der Grenze zu Barmbek, und seit einiger Zeit ist es so, wie es eigentlich jeden Sommer ist, wir können kaum schlafen, dieses mal wegen der Wartungsarbeiten an der Piste 05/23 (Langenhorn/Niendorf), so steht es auf hamburg.de. Und dass es zu vermehrten Flugbewegungen über Alsterdorf, Barmbek und Winterhude kommt. Über Eilbek auch, möchte ich anmerken. Die Flugzeuge bewegen sich nicht nur einfach, die sind im Landeanflug, die fliegen tief, die sind groß und sehr, sehr laut.
Während ich dies schreibe, sind schon unzählige Flugzeuge über meine Dachwohnung geflogen und es wird jedes mal so laut, dass ich mein eigenes Wort nicht mehr verstehen kann. Alle paar Minuten ist das so, am frühen Morgen ist das so, und am späten Abend ist das besonders so. Abends, ab 22 Uhr, fliegen teilweise minütlich Flugzeuge über mein Haus. Leider hat das auch nach 23 Uhr kein Ende. Und dann wache ich auf, wegen des unerträglichen Lärms, und da ist es 3.19 Uhr auf meinem Handy, und ich schlage mit der Faust auf das Kissen.
„Wie hältst du das denn nur aus?“, fragt mich eine Bekannte und ich schüttele den Kopf. Ich halte das nicht aus. Ich habe Verspannungen, depressive Verstimmungen und ja, ich bin aggressiv. Aber möglicherweise ist es am Mittwoch erst einmal wieder vorbei. Man weiß es nicht, wie die Wartungsarbeiten so laufen.
Die Anwohner des Flughafens aber werden nie Ruhe haben. Jedes Jahr müssen sie mehr Flugbewegungen ertragen. Ein Flughafen mitten in der Stadt ist praktisch, ja, aber er macht die Menschen in dieser Stadt krank.
Es gibt Leute, westlich der Alster, die lachen über das Thema Fluglärm. Die sagen zum Beispiel: „Ausnahmslos jeder, der dort heute wohnt, ist im Wissen um den Flughafen in die Nähe dessen gezogen. Von daher erscheint das ewige Geschrei der Flughafengegner und Lärminitiativen irgendwie scheinheilig.“ Oder: „Ich lese hier nur Mimimi und Gejammer von Ökofaschisten“ (Kommentare auf NDR).
Die Sache ist nur die, es wohnt ja die halbe Stadt inzwischen irgendwie mehr oder weniger am Flughafen. Ich habe am Wochenende auf St. Pauli geschlafen, und da war es sehr viel leiser als gerade bei mir in Eilbek. Ich denke, die Leute, die nicht betroffen sind, die haben halt keine Vorstellung davon.
Jedenfalls, es gibt ab dem 14. Juni 2017 eine neue Entgeltordnung des Hamburg-Airport. Da steht in Kapitel III, was die Luftverkehrsgesellschaften oder die Eigentümer, nach Lärmklassen gestaffelt, für einen Lärmzuschlag pro Landung und Start zu bezahlen haben. Das fängt bei elf Euro an und hört bei 3.680 Euro auf. Nach 22 Uhr und vor 6 Uhr morgens werden ab sofort Zuschläge von hundertfünfzig bis siebenhundert Prozent erhoben. Wenn ein mittellautes Flugzeug also, und das sollen nach eigenen Angaben die meisten sein, um 22.30 Uhr landet, statt noch vor 22 Uhr, dann kostet das 87 Euro statt 58 Euro Lärmzuschlag, oder 183 Euro statt 122 Euro Lärmzuschlag. Und nun frage ich mich: Wie groß wird der Druck auf die Luftverkehrsgesellschaften sein, zum Beispiel vor 22 Uhr zu landen?
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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