: Editorial
Vertrauen Immer mehr Verlagshäuser zäunen ihre Inhalte im Internet ein. Zugang zu Texten gibt es nur noch gegen Geld. Doch Lesende, die nicht zahlen können oder wollen, von wichtigen Informationen auszu-schließen, insbesondere in bewegten Zeiten, kann keine Lösung sein. Es gibt bessere Wege
Was bewegt Sie? Neulich sollte ich einen Vortrag darüber halten, was mich bewegt. Aber es passiert so viel, dass es nicht zu greifen ist. Aleppo, rassistisch motivierte und sexualisierte Gewalt, erstarkender Rechtspopulismus, Anschläge des IS, Gewalt gegen LGBTIQ , die Türkei und nicht zuletzt Trump. Wenn wir emotional zugänglich sind, bewegen uns vor allem Schicksale von Menschen. Und obwohl auch ich die Statistik gesehen habe, in der die Behauptung widerlegt wird, dass es so viele Anschläge wie noch nie gibt, fühlt es sich für mich erstmalig so an, als ob Meldungen im Minutentakt gar nicht mehr aufhören.
Ereignisse müssen erfasst, recherchiert, beschrieben und verbreitet werden. Es passiert viel, es wird immer schneller berichtet, und trotzdem dürfen wir nicht alles glauben, was wir sehen. Fakten und Quellen müssen doppelt geprüft werden. Bei der Masse der Inhaltsschaffenden ist die Glaubwürdigkeit der Absender für die Bewertung der Nachricht wichtiger als der Inhalt. Artikel von glaubwürdigen Absendern müssen verbreitet, nicht eingezäunt werden. Doch viele Verlagshäuser gehen derzeit genau den entgegensetzten Weg. Die Begrenzung von Inhalten seriöser Nachrichtenseiten kann nicht gut für eine diverse und ausgewogenen Berichterstattung sein. Nachrichten, in denen nicht „die Fremden“ schuld sind, in denen es keine Banalisierungsversuche für Vergewaltigungen gibt, in denen auch Themen und Meinungen abseits vom Mainstream Beachtung finden, müssen für alle zugänglich sein. Sofern wir es mit der Verantwortung der vierten Gewalt ernst meinen. Wir können uns nicht darüber mokieren, dass Menschen in ihren Filterblasen leben, in denen ein Algorithmus die Beiträge auswählt, und gleichzeitig darüber hinwegsehen, dass das Profitinteresse der Verleger darüber entscheidet, welche Texte gelesen werden können und welche nicht, Stichwort: Paid-Content-Modelle.
Auch Artikel mit hohem Rechercheaufwand müssen frei zugänglich sein und dürfen nicht als Köder dienen, um Leser*innen Abos für vorgebliche Premium-Inhalte aufzuschwatzen. Anders formuliert: Was sind das für Medien, die sozioökonomisch benachteiligte Menschen von wichtigen Informationen ausschließen?
Mit unserer Auffassung, dass alle Inhalte prinzipiell frei zugänglich sein müssen, sind wir zum Glück nicht alleine. Wir haben Brüder und Schwestern im Geiste, die ebenfalls lieber für die freiwillige Unterstützung argumentieren, als Leser*innen zum Zahlen zu zwingen. In diesen Sonderseiten möchten wir Ihnen ein paar erfolgreiche Modelle vorstellen. Das bekannteste Beispiel ist vermutlich der britische Guardian, der seit 2014 ein Mitgliedschaftsmodell hat, das die enge Verbindung zu den Leser*innen widerspiegelt. Von 2016 bis heute ist die Zahl der Mitglieder von 15.000 auf 230.000 rasant gestiegen, das liegt zum einen an den turbulenten Zeiten, zum anderen daran, dass sich der Guardian große Mühe gibt zu erfahren, was die Leser*innen wirklich lesen möchten.
Viel Zeit in den Dialog mit den Mitgliedern steckt auch der 2013 als Crowdfunding-Projekt gestartete De Correspondent aus den Niederlanden. Ungefähr die Hälfte der Belegschaft kümmert sich während des Normalbetriebs um den Austausch mit den 56.000 Mitgliedern. Einen ähnlichen Weg, wenn auch nicht den gleichen, geht das Projekt Republik in der Schweiz. Sie setzen auf eine Mischfinanzierung von Investor*innen, Spender*innen und Zahlungen von Mitgliedern, in letzterem Fall mit Vertrauensvorschuss durch ein Crowdfunding. Über 12.000 Personen glauben an Republik und haben bis Ende Mai 2017 Vorausabos abgeschlossen – ähnlich wie 1979 bei der taz.
Jahrgang 1984, Leiterin Digitale Transformation der taz, kam 2011 als erste Social-Media-Managerin zur taz und begleitete einen umfassenden Relaunch von taz.de. Inzwischen vertritt sie mit ihrem Team den Gedanken des freiwilligen Bezahlens für den taz-Journalismus im Internet.
Obwohl es Unterschiede in den verschiedenen Mitgliedschaftsmodellen gibt, haben diese Ansätze gemein, dass den Macher*innen der Journalismus selbst am Herzen liegt. Sie alle haben Vertrauen, dass die Leser*innen die Relevanz unabhängiger Presse begreifen, dass sie Haltung und politisches Bewusstsein beweisen und sich für eine starke vierte Gewalt im Internet einsetzen.
Wir haben das Glück, dass wir auf vielen Wegen unterstützt werden. Wir haben Vertrauen und überlassen unseren Leser*innen die Entscheidung, wie sie unseren Journalismus unterstützen möchten – ob mit einem Abonnement, einer Spende, einem Genossenschaftsanteil oder einem Förderbeitrag zu taz.zahl ich. Weil uns das Internet sehr am Herzen liegt, freuen wir uns, Ihnen Beispiele zu zeigen, die ihren Leser*innen vertrauen und damit erfolgreich sind.
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