: „London ist das Menetekel“
CLUBKULTUR Lutz Leichsenring von der Clubcommission über seine neue Initiative „Creative Footprint“
Interview Jens Uthoff
taz: Herr Leichsenring, was verstehen Sie unter einem kreativen Fußabdruck – einem „Creative Footprint“?
Lutz Leichsenring: Mit unserer Initiative „Creative Footprint“ sammeln wir Zahlen, Daten und Fakten über Spielstätten der Kultur- und Kreativwirtschaft. Im ersten Schritt haben wir unsere Methode auf Musikspielstätten angewandt. Wir wollten wissen, wie hoch die Qualität der Clubs in Berlin ist, wo sie sich schwerpunktmäßig ansiedeln, wo Locations schließen und wo neue aufmachen. Genauso wie jeder von uns einen ökologischen Fußabdruck hat, gibt es auch in jeder Stadt kreative Fußabdrücke – deshalb die Analogie. Das Schöne ist, dass es sich beim Creative Footprint im Gegensatz zu unserer Ökobilanz um etwas Positives handelt.
Wie misst man denn die Qualität von Clubs?
Die Qualität ergibt sich in erster Linie aus dem Programm. Es kommt etwa darauf an, ob Künstler und Line-Ups im Fokus der Veranstaltungswerbung stehen, ob also die Leute den Club wegen der Musik besuchen und nicht deshalb, weil das Essen gut ist und die Getränkepreise niedrig sind. Die kreative Leistung der auftretenden Musiker und DJs ist zum Beispiel ein Kriterium: Steht eine bestimmte Philosophie dahinter oder wird die Musik einfach nur abgespielt wie beim klassischen 80er-Jahre-Hit-DJ? Oder wir schauen uns an, ob die Clubs interdisziplinär gut aufgestellt, ob sie offen allen Künsten gegenüber sind.
Das Programm ist aber sicher nicht das einzige Kriterium.
Nein. Insgesamt haben wir 15 Faktoren berücksichtigt, die neben dem Programm auch den Standort und die Rahmenbedingungen betreffen. Eine Standortfrage wäre zum Beispiel: Liegt die Location in einer hoch oder schwach frequentierten Gegend? Habe ich ein Laufpublikum, das ich aktivieren kann, oder muss ich die Leute mit sehr viel Kleinarbeit aktivieren? In Bezug auf die Rahmenbedingungen haben wir etwa geschaut, ob es Zugang zu Entscheidern gibt oder ob eine „Established Class“ und eine subkulturelle Szene nebeneinander existieren, ohne miteinander zu kommunizieren.
Wer sagt denn, was „gut“ und was „schlecht“ ist?
ist im Frühjahr gegründet worden, um Musikspielstätten in Berlin statistisch zu erfassen und zu bewerten. Dazu zählen Clubs, aber auch Bars, Theater oder Galerien mit Musikprogramm. Experten haben rund 500 Veranstaltungsorte unter die Lupe genommen. Die meisten Locations gibt es in Kreuzberg (106), Friedrichshain (74) und Neukölln (56), die mit den besten Bewertungen in Treptow, Neukölln und Wedding. Insgesamt finden in Berlin monatlich rund 2.700 Musikveranstaltungen statt. Für andere internationale Metropolen plant Creative Footprint auch Auswertungen. Infos: creative-footprint.org
Auf lange Sicht wollen wir das Ganze in eine Art Crowdbefragung überführen. Zu Beginn war uns das aber zu unsicher. Deshalb haben wir Leute eingebunden, die sich in der Musikszene gut auskennen, die mehr als nur ihre Lieblingslocation besuchen und mit vielen Musikorten vertraut sind. Die Experten mussten sich bewerben und angeben, in welchen Bezirken sie die Locations besonders gut kennen.
Sie haben zum Beispiel herausgefunden, dass Berlins Musikorte auf einer Skala von 1 bis 10 durchschnittlich auf 8,02 Punkte kommen, dass in Treptow die qualitativ besten Clubs sind und dass in den vergangenen 3 Jahren in Berlin 89 Locations neu eröffnet haben. Wozu braucht man diese Werte?
Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es auch bei Clubs qualitative Unterschiede gibt und damit sowohl die Immobilienwirtschaft als auch die Politik in die Verantwortung nehmen. Auf diesen Ebenen wird häufig nicht differenziert – ein Club ist da gleich ein Club und ein Café gleich ein Café. Aber es gibt große inhaltliche Unterschiede. Ein Starbucks ist nicht das Gleiche wie ein liebevoll gemachtes Café, wo selbst gebackener Kuchen verkauft wird. Genauso verhält es sich bei den Veranstaltungsorten.
Soll „Creative Footprint“ auch als ein Instrument gegen Verdrängung von Clubs eingesetzt werden?
Zumindest können wir nun mit Statistiken argumentieren. Kürzlich haben wir eine Heatmap erstellt, wo wir Zahlen zum Erstbezug nach Sanierung in den jeweiligen Bezirken eingearbeitet haben. Folgender Zusammenhang war zu erkennen: Erst kommen die experimentellen Locations in die Kieze, fünf bis zehn Jahre später wird genau in diesen Gegenden renoviert und von da an entstehen dort viel weniger Musikorte als zuvor. Das, was jeder wusste, haben wir also nun schwarz auf weiß. Auf dieser Grundlage können wir Handlungsempfehlungen aussprechen, auf dieser Grundlage können Politiker, Stadtentwickler, Kreativschaffende und Investoren diskutieren. Das Modell wurde bereits vom Ausschuss für Stadtentwicklung der IHK sehr begrüßt. Am Montag präsentieren wir es im Senat für Stadtentwicklung.
39, ist Sprecher des Berliner Interessenverbands Clubcommission und Gründer von Creative Footprint.
Was wäre eine Handlungsempfehlung?
Wir können dauerhaft nicht alles dem Zufall überlassen. Wir kommen gerade an den Punkt, dass die Orte von Spekulanten erst mal freigehalten werden und dann irgendwann zum höchstmöglichen Preis vermietet oder verkauft werden. Außer Beileidsbekundungen abzugeben, hat man seitens der Politik bislang wenig unternommen. Maik Uwe Hinkel konnte an der East Side Gallery einen Wohnturm ins Epizentrum der Clubkultur setzen, der nun dafür sorgt, dass Veranstaltungen abgesagt werden. Es muss ein Bewusstsein dafür entstehen, dass das kreative Zentrum Berlins so auf lange Sicht zerstört wird. London ist das Menetekel.
Dass es wichtig ist, die Clubkultur zu unterstützen und zu fördern, hat die Stadt aber doch längst erkannt.
Ja, aber was Politik und Touristikvermarkter zum Beispiel noch nicht verstanden haben, ist, dass das Publikum nicht nur kommt, um einen draufzumachen, sondern dass es die Inhalte schätzt. Auch wenn manche das nicht glauben mögen: Es steckt sehr viel Inhalt im Berliner Nachtleben. Auf lange Sicht wollen wir eine Vergleichbarkeit mit anderen Städten herstellen. Denn bislang kann man die Clubszenen der Städte kaum vergleichen – am ehesten noch über den Umsatz. Das ist aber nun wirklich keine Zahl, die etwas über die Szenen aussagt.
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