: Über Angst reden
DISKURSIn der Reihe „Wörterbuch der Gegenwart“ sprachen Intellektuelle im HKW
Angst ist ein mächtiges Gefühl. Und ist universal auf eine im wahrsten Sinne des Wortes radikale Weise – es geht zurück zu den Wurzeln der Menschheit. Was früher die Angst vor wilden Tieren und Naturgewalten war, ist heute etwa die Sorge, den eigenen Job zu verlieren – oder: Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Der Unterschied von der Steinzeit zu heute liegt vor allem darin, dass Angst heute in den meisten Fällen menschengemacht – und damit politisch ist. In allen Fällen aber beraubt sie den Menschen seiner Freiheit.
Um Angst in unterschiedlichen Ausprägungen ging es am Montag im Haus der Kulturen der Welt in der Reihe „Wörterbuch der Gegenwart“. Der Frage, welche kognitiven Schemata einer Angstpolitik zur Manipulation von Diskursen, Bildern und Begriffen zugrunde liegen, näherten sich der irakische Autor und Dichter Sinan Antoon, der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl und der US-amerikanische Anthropologe Allen Feldman aus unterschiedlichen Perspektiven.
Sinan Antoon, der nach dem Ersten Golfkrieg in die USA emigrierte und dort promovierte, ist vor allem besorgt über die sozialen Verwerfungen um das derzeit wohl populärste Angst-Objekt, auf das er als gebürtiger Iraker unwillentlich reduziert wird: die Muslime, die zudem in den USA oft einfach mit Arabern gleichgesetzt werden. Die Anschläge vom 11. September hätten ein Phänomen freigesetzt, das er als „Monstrum Arabica“ bezeichnet: die politisch forcierte Angst vor der arabischen Sprache, ja der gesamten arabischen Kultur. So sei in New York, wo er lebt und arbeitet, vor einigen Jahren der Bau einer dualen, englisch-arabischen Schule an Protesten gescheitert, weil die Angst bestand, allein der Zugang zur arabischen Sprache führe zur terroristischen Indoktrination. Global werde das Monster immer wieder in Hollywood-Filmen mit Terroristen als Böse reproduziert. Die konventionellen Bösen würden meistens untertitelt, die Dialoge von arabisch anmutenden Terroristen würden in fast allen Fällen nie mit Untertiteln versehen.
Über die Abwesenheit und Sichtbarmachung von Bildern und Narrativen auf breiterer Ebene spricht Allen Feldman, der die von US-Soldaten ausgeübten Folterpraktiken an irakischen Verdächtigen auf Guantánamo beschreibt. Jene staatliche Gewalt sei in etwas Zeremonielles transformiert worden, das Rechtfertigungs-Narrative für und ausschweifende sicherheitspolitische Maßnahmen gegen den „War on Terror“ produziert habe. Joseph Vogl, der etwa zum Thema Amok geforscht hat, ging auf die konkrete Angstpolitik ein – und ihre unschlagbare Rechtfertigungsmaxime: Angst sei politisch so wirkmächtig, weil sie immer authentische Kommunikation ist. Niemand könne abstreiten, wenn jemand Angst hat – was sie zum ultimativen Totschlagargument macht.
Ihm zufolge sei die Pre-Crime-Einheit im Film „Minority Report“, die Kriminelle aufspürt, bevor sie ihre Tat begehen, längst Wirklichkeit. Sie zeige sich besonders im heutigen Regime der Präventionsmaßnahmen, das auch Deutschland erreicht hat – und etwa in Resultaten wie dem jüngsten, verquast formulierten Sicherheitsentwurf der CSU, den Vogl süffisant zitiert, eine Aktualisierung erfahren hat.
Im Kosmos des Gefahrensinns, der die Gesellschaft heute prägt, sind wirkliche und eingebildete Gefahren sowie Risiken ununterscheidbar. Doch die Hypertrophierung, also starke Größenzunahme von Präventionsmaßnahmen, würde die Angst nur steigern. „Der Staat ist süchtig nach Angst“, sagt Feldman in der abschließenden Diskussion. Es zeigt: Die größte Bedrohung liegt vor allem in der Angst vor der Angst anderer.
Philipp Rhensius
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