piwik no script img

Mit Ohrenschutz statt Dosenbier

Draußen Feiern Jahr für Jahr sprießen neue Festivals auf dem platten Land. Da die richtige Wahl zu treffen, ist mit einem Blick aufs Line-up nicht getan – gerade wer seine Kinder dabei hat, muss schon etwas genauer hingucken

Geht eben auch mit Kind: Sommer, Sonne, Festival Fotos: Axel Schilling, Ilona Henne/A Summer’s Tale

von Sebastian Krüger

Die Festivalsaison ist in vollem Gange. Im Norden haben MusikliebhaberInnen zahlreiche Möglichkeiten, ihr Zelt aufzuschlagen und Dosenbier aus Trichtern zu genießen. Doch mit den Zeiten ändern sich auch die BesucherInnen. Stammgäste, die seit Jahren ihrem Festival die Treue schwören, erscheinen eines Tages mit Familie. Früher wurde das Auto mit der maximalen Menge an Bier und Ravioli beladen wie in einem Tetris-Spiel, heute stehen Windeln und Babybrei auf der Packliste. Wer nun aber Kinder hat und nicht aufs Lieblingsfestival verzichten möchte kann da auf einige Probleme stoßen: Lärm, Dreck, Stress, fehlende Wickeltische und mangelnde Angebote für Kinder. Wie kindergeeignet sind die Festivals in der Region?

„A Summer’s Tale“ im Landkreis Harburg sticht aus dem üblichen Festivals heraus. Bewusst familienfreundlich werben die VeranstalterInnen neben Konzerten, Lesungen, Filmen und Performance mit großem Kinderprogramm: Plattdeutsch für die Kleinen, Familienyoga, Musik, Theater, Tanz, Basteln und vieles mehr. Die OrganisatorInnen haben sich von Beginn an als eine Alternative zu den üblichen Festivals verstanden. „Wenn man Besucher in einem gewissen Alter ansprechen möchte, dann muss man einfach mitdenken, dass diese vielleicht bereits eine Familie haben“, sagt Sina Klimach vom Veranstalter FKP Scorpio. Der Grundgedanke eines Festivals sei ja durchaus für Groß und Klein gleichermaßen passend: „Ein paar Tage draußen zelten und eine gute Zeit gemeinsam haben – mit tollem Bühnenprogramm“, findet sie. Die Reaktionen seien positiv, auch wenn natürlich nicht alle mit Kind kommen. „Letztes Jahr betrug der Familienanteil etwa 20 Prozent“, so Klimach. „A Summer’s Tale“ gibt es seit 2015. „Ein so familienfreundliches Festival gab es bis dato kaum“, sagt sie.

Auch zum Ackerfestival bei Pinneberg kommen Familien mit Kindern. „Das wird sogar immer mehr“, sagte Birte Ganser vom Ackerfestival e. V. Kinder unter 12 haben dort freien Eintritt. Dadurch sei besonders tagsüber das Publikum vor der Bühne bunt gemischt. „Das Gelände ist einfach schön und bietet gute Rückzugsmöglichkeiten“, findet sie. Am hinteren Ende gibt es einen kleinen Hügel und das gesamte Gelände befindet sich auf einer Wiese. „Es ist also keine Schlammschlacht wie in Wacken“, lacht Ganser. „Etwa die Hälfte aller Besucher schlafen nicht im Campingbereich, sondern fahren Abends nach Hause.“ Ein Shuttlebus fährt vom Gelände zum Bahnhof Pinneberg. Viele Besucher kämen eh aus der Gegend, so Ganser. Eine Möglichkeit zum Wickeln bietet das Ackerfestival auch. Überhaupt sieht sie kein Problem darin, mit Kindern auf ein Festival zu gehen. „Gehörschutz ist natürlich ein Muss“, betont sie. Aber wer darauf achtet, solle seinen Nachwuchs ruhig mitnehmen. „Es ist doch Quatsch, dass man plötzlich auf Festivals verzichten muss, nur weil man Kinder hat“, findet Ganser.

David Binnewies vom „Appletree Garden“-Festival in Diepholz sieht das etwas anders. „Es ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt er. „Bei uns waren schon immer viele Kinder“, so Binnewies. „Appletree Garden“ sei von Beginn an ein eher familiäres Festival gewesen. Und das, obwohl die VeranstalterInnen kein spezielles Kinderprogramm anbieten. „Wir sehen Kinderbelustigung nicht als unsere Aufgabe“, sagt er, „es ist einfach nicht der richtige Ort für Kinder.“ Es gibt dort eine sehr hohe Lärmbelastung und eine relativ dichte Besuchermasse. Eine kindergerechte Umgebung ist das für ihn nicht. „Man kann es Eltern natürlich nicht untersagen“, so Binnewies. Daher hätten sie immer kindergerechten Lärmschutz in großer Zahl vor Ort. „Einen Sechsjährigen nachmittags für ein paar Stunden mitzunehmen geht wohl“, sagt er. „Ich weiß aber nicht, ich mein Kind mit aufs ‚Hurricane‘ nehmen würde“, überlegt Binnewies. Das Publikum auf dem „Appletree Garden“ sei weniger alkoholisiert als auf anderen Festivals. „Und bei großen Festivals kann ein Kind auch schneller mal verloren gehen als auf kleineren“, sagt er.

Das Summertime-Festival in Wolfenbüttel unterscheidet sich von anderen Festivals, da es nur an einem Samstag stattfindet und um Mitternacht endet. Für Susanne Sobottke vom Veranstaltungsteam ist das gerade für Familien praktisch. „Das aufwendige an mehrtägigen Festivals ist ja meist das Camping“, sagt sie. Dabei auch für Kinder an alles zu denken und es so zu gestalten, dass die Kinder sich wohlfühlen, stellt sie sich sehr schwierig vor. „Risiken sehe ich vor allem aufgrund von übermäßigem Alkoholkonsum, Lärm und Gedränge“, sagt sie. Grundsätzlich denkt sie aber, dass kleinere Festivals für Familien unkomplizierter sind als sehr große. Außerdem habe es bisher keine Zwischenfälle bei ihnen gegeben, betont Sobottke. Da das Festival in einem Park stattfindet, können Eltern ihre Kinder problemlos auf einer Decke wickeln. Wer das nicht möchte, kann sich an die Information wenden und ein anliegendes Gebäude dazu nutzen, sagt sie. Das Summertime-Festival findet am 10. Juni statt. Wer es dieses Wochenende nicht mehr schafft, ist vielleicht nächstes Mal dabei. Kinder bis 12 müssen beim Summertime-Festival keinen Eintritt zahlen.

„Wutzrock“ in Hamburg ist seit 1979 eines der ältesten Umsonst-und-draußen-Festivals. Die VeranstalterInnen weisen auf das große Kinderangebot hin. Das Kinderfest läuft tagsüber parallel zum übrigen Festivalbetrieb und erfreut sich großer Beliebtheit. Die Kleinen können dort unter anderem Malen, Basteln, Schminken, Rutschen und auf der Hüpfburg spielen. Allerdings wird betont, dass das Kinderfest keine Aufbewahrungsstation für Kinder ist. Eltern müssen auf ihre Kinder trotz Bespaßung immer noch selbst aufpassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen