Hieronymus-Bosch-artige Tiermonstren in Superzeitlupe

KUNST Was die KuratorInnen Nathalie Henon und Jean-François Rettig zum am Dienstag beginnenden Kunst- und Filmfestival „Les Rencontres Internationales Paris/Berlin“ zusammengetragen haben, ist eine Herausforderung – und eine Wundertüte

Ordnungsprinzipien sind nicht unbedingt zu erkennen: „Inverso Mundus“ der russischen Künstlergruppe AES+F Foto: Aes+F/HKW

Von Ekkehard Knörer

Film und Kunst, Kunst und Film umschleichen einander zweimal jährlich in den Rencon­tres Internationales. Einmal in Paris, einmal in Berlin, Madrid war früher auch schon im Spiel, unter Hauptstadt macht man es nicht.

Neue Filme und zeitgenössische Kunst zeigt das Festival „Les Rencontres Internationales“ im Haus der Kulturen der Welt. Vom 13. bis zum 18. Juni sind in dem Haus zwischen Spree und Tiergarten teils in deutscher Erstaufführung über 100 Neuproduktionen internationaler KünstlerInnen und FilmemacherInnen zu sehen. Eröffnung ist am Dienstagabend um 19 Uhr. Das komplette Programm unter: www.art-action.org. Der Eintritt in alle Veranstaltungen ist frei. (taz)

Seit zehn Jahren ist das Haus der Kulturen der Welt die Begegnungsstätte von KünstlerInnen und Filmen und Videos in der deutschen Version. Hier trifft man sich zum Zeigen und Sehen, ein Festival aus Vorführungen, Workshops, Diskussionen, live, leibhaftig, Aufzeichnungsmedium meets jede Menge Anwesenheit. Mehr als 100 Filme und Videowerke aus aller Welt, vieles in deutscher Erstaufführung, neu soll es sein, Kunst soll es sein, thematische, formale, sonstige Ordnungsprinzipien sind nicht unbedingt zu erkennen. Übersichtlich ist das nicht, aber in Wundertüten kann man sich ja aufs Angenehmste verlieren. Es gibt zwei KuratorInnen, Nathalie Henon und Jean-François Rettig, man muss sich darauf verlassen, dass sie wissen, was sie da tun.

Beim ersten Abend weiß ich’s schon mal nicht. Nach einer Eröffnung mit Rede und Überraschungskurzfilmen ist ins Zentrum des Beginns das jüngste Werk, „Inverso mundus“, der russischen Künstlergruppe AES+F platziert. Deren superslicke, superhohle Angeberkunst wird einem allerdings gefühlt auf jeder Kunstbiennale der letzten Jahre vorgesetzt. Die Truppe räubert sich vor architekturmodellhaft errechneten virtuellen Hintergründen mit den Mitteln der Modefotografie durch die Pathosformeln der Kunstgeschichte und spielt dazu ein Potpourri an Klassikmusik – Bellinis Gassenhauer „Casta Diva“ nur zum Beispiel, dagegen ist der späte Terrence Malick ein Meister der musikalischen Subtilität. Dazu fliegen, alles in Superzeitlupe, Hieronymus-Bosch-artige Tiermonstren, darunter etwas mit vorne Mops, hinten Oktopus, durch die Gegend und werden später zärtlich gestreichelt. Würde sich die Kunst von AES+F zum Edeltrash bekennen, der sie ist, wäre sie um einiges besser erträglich. Alles deutet aber darauf hin, dass das auf eine hochbedeutende Weise ernst gemeint ist.

Bogdan Smith „Traum“ (2017) Foto: Filmstill

Repräsentativ für das Festival sind AES+F zum Glück aber nicht. Unter den vorab gezeigten Werken dominiert der überlegtere Umgang mit dem Bildmaterial. So zeigt Ben Rivers’ „There Is a Happy Land Further Awaay“ fast idyllische Naturaufnahmen des Archipels Vanuatu. Rivers konnte, als er sie machte, nicht ahnen, dass der Zyklon Pam dort kurz darauf das Unterste zuoberst kehren und weite Teile des Inselstaats verwüsten würde. Zunächst ist davon im Film nichts zu sehen, allerdings stört Rivers die Idyllik seiner Bilder auf der Tonspur mit einem nur stockend und in immer neuen Ansätzen vorgetragenen Gedicht von Henri Mi­chaux und lässt das Filmmaterial selbst gegen Ende von Kratzern und Fehlfarben befallen. Er arbeitet also mit einer ästhetischen Strategie, die auf simple, aber einleuchtende Weise die ­reale Zerstörung ins eigene Bildprogramm überträgt.

Filipa César „Transmission from the Liberated Zones“ (2015) Foto: Filmstill

Ebenso formal reflektiert ist „Transmissions from the Liberated Zone“ der portugiesischen Künstlerin und Filmemacherin Filipa César, die eine historische Dokumentation über eine UN-Mission während des Kolonialwiderstands in Guinea-Bissau in den frühen siebziger Jahren mit dem Vortrag eines jungen Manns überblendet, der nicht eindeutig zugeordnete Textpassagen vorträgt. Die Überblendungen sind dabei selbst noch einmal überblendet oder geschachtelt: in Vervielfachungen, in Bildsucheinblendungen, in eine Feedbackschleife. Wie weit die komplizierende Irritation dabei etwas erhellt, bleibt ein bisschen die Frage, aber diese Frage ist ja nicht uninteressant. (Warum die Vorführung des bereits in der Forum-Expanded-Sektion der Berlinale 2016 gelaufenen Films als deutsche Premiere bezeichnet wird, bleibt allerdings das Geheimnis von Rencontres Internationales).

Sehr einfach, sehr klar, sehr schön sind Daniel Kötters „Repetitionen“. In einer mehrfachen Kreisfahrt setzt Kötter Außenblicke und Außensounds neben Innenblicke und Innensounds: Drinnen wie draußen wird etwas geprobt oder besprochen, draußen geht es um Film, drinnen um zeitgenössische Musik, die Kamera fährt weiter und blickt durchs Fenster nach draußen auf eine sorgfältig arrangierte Straßenszenerie. Proben, Wiederholungen, Doppelsinn des Titelworts, ein Film, der sich und der Betrachterin in der eigenen Bewegung Rätsel aufgibt, die er nicht löst. Muss er auch nicht, solange er sich durch seine eigene Struktur in Spannung versetzt und dann hält. Gegen die internationale Kunstmarktkunst von AES+F ist das Arte povera. Aber sie ist doch allemal klüger.