Bessere AgendaAm besten, die G20 nähmen sich zurück und hörten auf, anderen Beschlüsse aufzudrücken
: WenigerG20 wäre mehr

von Christian Jakob

Die „globalen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern“ ist das Ziel der G20. So steht es in dem Programm für das Gipfeltreffen im Juli. Schon hier liegt das Problem.

Die G20 halten sich zugute, dass, im Gegensatz zu den G7, große Teile der Bevölkerung des globalen Südens vertreten sind. Aber die Welt besteht nicht aus 20 Staaten, sondern aus fast 200. Für die „globalen Herausforderungen“ gibt es deshalb die Vereinten Nationen. Die beste Agenda, die sich die G20 selbst setzen könnten, wäre daher, sich zurückzunehmen; der Versuchung zu widerstehen, eigene Beschlüsse zu fällen, die sie qua Wirtschaftskraft den übrigen Staaten aufzwingen können.

Stattdessen sollten die G20 die vergleichsweise legitimeren UN-Prozesse unterstützen – die ihrerseits viel stärker für zivilgesellschaftliche Beteiligung geöffnet werden müssten. So könnten Entscheidungen, die die ganze Welt betreffen, demokratischer fallen, als es in Hamburg geschehen wird.

Auf UN-Ebene gibt es durchaus Ansätze für die „globalen Herausforderungen unserer Zeit“, doch sie kranken durchweg an mangelnder Unterstützung. Die G20 haben sich diese Unterstützung zwar auf die Fahnen geschrieben, gewähren sie aber faktisch nicht. Das gilt für das Pariser Klimaabkommen, aus dem die USA auszusteigen drohen. Es gilt für die UN-„Agenda 2030“ zur Armutsbekämpfung, aus deren Umsetzung etwa Deutschland mit seiner „Nachhaltigkeitsstrategie“ die Handels-, Migrations- und Agrarpolitik ausklammert – was praktisch alle einschlägigen NGOs in einer gemeinsamen Stellungnahme kritisiert haben. Es gilt auch für die auch von Deutschland und der EU boykottierten UN-Verhandlungen zu verbindlichen Menschenrechtsnormen für Wirtschaftsunternehmen. Und es gilt für den globalen Handel.

Hier gibt es die Welthandelsorganisation WTO, zwar kein Teil der UN, aber immerhin 164 Mitgliedsstaaten stark. Ihre so genannte Doha-Runde böte theoretisch die Chance, die Entwicklungsländer im Welthandel zu stärken. Aber sie kommt seit Jahren nicht voran, blockiert von den Industriestaaten. Diese setzen heute auf bilaterale und regionale Freihandelsabkommen wie die Economic Partnership Agreements, die ihnen freien Marktzugang eröffnen und Investorenrechte sichern. Die G20-Staaten könnten sich stattdessen dazu bekennen, die Doha-Runde beim anstehenden WTO-Gipfel im Dezember in Buenos Aires wieder aufzunehmen. „Überprüfbare Beschlüsse der G20 zur Unterstützung der UN-Abkommen zu Klima oder Nachhaltigkeit würden auch den Entwicklungsländern nützen und ihre Eliten unter Zugzwang setzen“, sagt Francisco Marí von Brot für die Welt. Doch das sei ein „frommer Wunsch, wenn man sich anschaut, wie es etwa um Menschenrechte bei den meisten G20 Staaten steht.“

Zwei Ausnahmen aber gibt es, in denen die G20 selbst aktiv werden sollten. Eine ist die Hungerkatastrophe in Ostafrika. 23 Millionen Menschen sind akut vom Hungertod bedroht, die UN sprechen von der größten humanitären Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Ursache sind vor allem bewaffnete Konflikte, die Folgen aber lassen sich derzeit nur mit Geld bewältigen: Zwei Milliarden Dollar bräuchte das Welternährungsprogramm sofort, nicht einmal ein Viertel der Summe wurden ihm zur Verfügung gestellt. Dies aufzustocken wäre zweifellos eine Aufgabe für die G20.

Die zweite Ausnahme ist der Kampf gegen Steuerflucht. Sie ist einer der wichtigsten Faktoren für die globale Vermögenskonzentration und die Unterfinanzierung öffentlicher Haushalte. Über 500 Milliarden Dollar gehen diesen nach Weltbank-Schätzungen jährlich allein durch legale Steuervermeidung transnationaler Konzerne verloren. 100 Milliarden davon fließen aus Entwicklungsländern ab – fast genauso viel, wie an Entwicklungshilfe gezahlt wird. Für den Kampf gegen die Steuervermeidung aber gibt es bislang nur schwache UN-Gremien.

Bei der letzten großen UN-Entwicklungskonferenz 2015 in Addis-Abbeba schlugen die Länder des globalen Südens eine Steuerorganisation unter dem Dach der UN vor. Die Industriestaaten aber lehnen das ab – sie wollen die internationale Steuerpolitik in den Händen der von ihnen kontrollierten OECD belassen. Die G20 wären die Richtigen, ihnen dies auszureden. Denn unter Steuerflucht leiden in absoluten Zahlen vor allem die G20-Staaten – Schwellenländer wie China, Indien, Argentinien oder Indonesien ebenso wie die USA, Frankreich oder Japan. Doch die bislang von den G20 geplanten Maßnahmen zur „Vermeidung von Gewinn­kürzungen und -verlagerungen“ greifen viel zu kurz.

Christian Jakob ist Redakteur im Ressort Reportage und Recherche der taz.