Sachbuch über globales Regieren: Eine Welt, ein Parlament
Globale Demokratie sei nicht nur notwendig, sondern auch möglich. Andreas Bummel und Jo Leinen liefern ein kenntnisreiches Plädoyer.
Wir leben in einer globalisierten Welt. Ob Kommunikation, Wirtschaft, Kultur, Politik – alles hängt mit allem zusammen, Ländergrenzen spielen keine Rolle mehr. Aber in den Köpfen werden sie umso dicker gezeichnet. Die Ohnmacht angesichts des globalisierten Kapitalismus lässt die Menschen in vielen Ländern zu überholt geglaubten Nationalismen zurückkehren. Aus Überzeugung oder Protest werden extreme Parteien gewählt, weil man sich von der demokratischen Mitte nicht mehr repräsentiert fühlt.
Der logische nächste Schritt in der Entwicklung einer interdependenten Welt müsste es sein, auch die Demokratie zu globalisieren. So sehen es Andreas Bummel und Jo Leinen in ihrem ambitionierten Buch über „Das demokratische Weltparlament“. Es ist detail- und kenntnisreiches Sachbuch ebenso wie ein flammendes Plädoyer für eine neue Weltordnung.
Leinen, Mitglied des EU-Parlaments, und Bummel, Aktivist und Gründer der NGO „Democracy Without Borders“, kämpfen seit Jahren dafür, dass das Konzept eines Weltparlaments in Form einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen mehr Anerkennung findet. Sie sehen die Institutionen der global policy in einer schwierigen Lage und können die Kritik an den elitären, bürgerfernen Gremien gut nachvollziehen.
Wie soll eine Einrichtung wie der UN-Sicherheitsrat mit seinem anachronistischen Vetorecht jemals in der Lage sein, Vertrauen zu schaffen? Wie können die Bürger sich auf die nationale Wirtschaft verlassen, wenn global agierende Konzerne sich durch Steuerflucht der Finanzierung der Gemeinschaft ebenso entziehen wie der demokratischen Kontrolle? Bummel und Leinen sehen die Lösung in einem global gewählten Parlament, das seinen Bürgern gegenüber verantwortlich ist. Ergänzt werden müsste es durch ein globales Rechts- und Steuersystem, dem die Nationalstaaten sich unterordnen müssen, bei dessen Gestaltung sie aber mitreden könnten.
Helfen will jeder, aber wie ist es, einen geflüchteten Syrer bei sich zu Hause aufzunehmen? Taz-Autor Hannes Koch teilte über ein Jahr lang Küche und Bad. In der taz.am wochenende vom 27./28. Mai erzählt er von dieser Erfahrung. Außerdem: In Polen trainieren immer mehr Paramilitärs für die Verteidigung der Nation. Warum machen die das? Und: Halligalli. Warum das Sgt. Peppers-Album der Beatles ein Meilenstein der Pop-Geschichte ist. Das alles am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo
Für Arendt eine Horrorvision
Globale Demokratie, so folgern die Autoren, ist „nicht nur notwendig, sondern auch möglich“. Während Hannah Arendt eine Weltregierung als Horrorvision sah, die zwangsläufig totalitär sein müsse, sind es heute die globalen Eliten, die sie als „nicht wünschenswert“ ansehen.
Jo Leinen, Andreas Bummel: „Das demokratische Weltparlament. Eine kosmopolitische Vision“. Dietz, Bonn 2017, 453 S., 26 Euro.
„Eine konstitutionelle, demokratische Weltrechtsordnung mit klaren Strukturen, Kompetenzverteilungen, Regeln und Entscheidungswegen muss weiten Teilen der transnationalen Elite als hinderlich erscheinen“, schreiben Leinen und Bummel, und: „Erstmals in der Geschichte sind alle Menschen durch eine gemeinsame Weltzivilisation verbunden.“
Die Lösung der drängenden Probleme wie Armut, Hunger, Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten sehen sie weniger als „eine Frage der richtigen Politik. Es ist viel mehr eine Frage der richtigen politischen Strukturen.“ Eine Erkenntnis übrigens, die sich tagtäglich anhand der real stattfindenden Politik beobachten lässt.
Hintergründe für alle
Die Autoren zeichnen die Geschichte der Demokratie von der Stoa bis Kant nach, vom Völkerbund über die Weltkriegs-Zäsur bis zur Gründung von UN und IStGH, und nehmen das große Ganze in den Blick ohne dabei die kleinen und kleinsten Aspekte aus den Augen zu verlieren. Es geht ihnen darum, die Zukunft zu gestalten und die Entwicklung hin zu einem globalen Parlament erscheint am Ende fast zwangsläufig der einzig sinnvolle und gangbare Schritt, vielleicht das Ziel der demokratischen Transformation, das von Anfang an angesteuert werden musste.
Aber auch für jene Leser, die sich mit derartigen Visionen nicht anfreunden können, birgt es Ein- und Ausblicke, vertieft Hintergründe und macht die oft so verwirrenden und undurchdringlichen Zusammenhänge einer immer komplizierteren Weltpolitik sichtbar. Am Ende ist es ein Denkanstoß und ein höchst zeitgemäßes Werk, dem das zuletzt wieder um sich greifende Grabendenken fremd ist. Allein deshalb ist dieses Buch ein Gewinn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!