Kommentar von Benno Schirrmeister: Staat darf nicht Gesinnung verbieten
Meine Lateinlehrerin war eine Neo-Nazi, und was hätte die Klasse damals nicht darum gegeben, ihr das Handwerk zu legen! Aber zu Unrecht: Dass die Schreckschraube nichts wählte, was links von Franz Schönhubers Republikanern verortet war, hatten wir schnell spitz gekriegt und als anstößig empfunden. Vor allem aber hatten wir das intuitiv als Medium erkannt, unseren Widerspruchsgeist zu schärfen und mit Provokationen zu spielen.
Denn ideologisch verrannte Menschen regen sich so herrlich schnell auf. Das macht sie angreifbar. Und als Teenager fanden wir es lustig, von einer Gift und Galle spuckenden Rechtsradikalen ob unserer Spartacus-Begeisterung mit Knast bedroht zu werden, ohne dass die Frau sich traute, uns auf dem Dienstweg zu disziplinieren.
Hat uns das geschadet? Keine Ahnung. Ich möchte es aber nicht vermissen. Und wahr ist, dass am Ende alle nicht nur das Latinum hatten, sondern auch Erfahrungen im Umgang mit politischen Irrläuferinnen – was ein konsequent umgesetzter Radikalenerlass per Berufsverbot verhindert hätte.
Zwar ist der Einzelfall nicht zu verallgemeinern. Trotzdem lässt sich ein Argument aus ihm ableiten: Er belegt, dass Willy Brandts Erlass stets selektiv und willkürlich angewendet worden ist. Manche DemokratiefeindInnen durften versuchen, uns Kinder zu verderben. Andere nicht.
Die bekannten Fälle und die subjektive Erfahrung nähren den Verdacht, dass AnhängerInnen eines rechten Totalitarismus dabei häufig die besseren Karten hatten. Gerade auch und zuerst in sozialdemokratisch regierten Ländern.
Diesen Ermessensspielraum hatte das Bundesverfassungsgericht noch, anders als es seine Aufgabe gewesen wäre, beträchtlich erweitert: Es verfügte, dass eine „kühle innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung“ für eine Verbeamtung nicht ausreiche. Dabei unterließ es jedoch, zugleich eine Verfassungs-Maximaldistanz zu beziffern und die Beamten-Mindestbetriebstemperatur festzulegen.
Klar: Dass man in Deutschland nicht noch einmal eine Beamtenkaste staatlich versorgen wollte, die sich im Zweifel gegen den Staat wendet, ist ein nachvollziehbares Anliegen gewesen. Und sich die Demokratie dabei so zu wünschen, dass sie sich gegen ihre inneren Feinde wehren kann – das ist ein gutes Prinzip.
Bloß kann das nur gelingen, solange sie sich mit demokratischen Mitteln wehrt – und nicht mit machtpolitischen: An Versammlungen selbst verfassungsfeindlicher Organisationen teilzunehmen, für diese zu kandidieren oder zu demonstrieren, das ist Ausübung eines Menschenrechts. Wer das unterhöhlt, wie Willy Brandt mit dem Radikalenerlass, macht die Demokratie kaputt.
Im Fall der couragierten Dorothea Vogt aus Jever, der verboten wurde, Französisch und Deutsch zu unterrichten, weil sie für die DKP aktiv war, hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das klargestellt: Auch anstößige, beunruhigende und schockierende politische Betätigungen sind hinzunehmen. Aber nicht klaglos und nicht unwidersprochen: So ist es selbstverständlich eine Aufgabe der Medien, solche Meinungsbekundungen von beispielsweise PädagogInnen publik zu machen.
Schon allein, damit auffällt, wenn die Grenze zum Missbrauch überschritten ist: Denn selbstverständlich muss Einhalt geboten werden, wenn auf behördliche Infrastruktur und die eigene Macht zurückgegriffen wird zur Förderung politischer Inhalte. Schnell muss der Staat dann handeln, kompromisslos – und gestützt auf gute Belege.
Wenn er aber anfängt, seinen BeamtInnen die private Überzeugung zu beschneiden und seine Kinder vor dem Streit um Ideologien zu verschonen, entmündigt er bloß seine Bürger.
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