: Erforschte Forschungsreisende
THEATERExpedition Die Dokumentartheatergruppe „Das letzte Kleinod“ beschäftigt sich in ihrem neuen Stück „Meteor“ mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen auf den gleichnamigen Hochseeforschungsschiffen
von Jens Fischer
Leichte Brise aus Nordost, der Himmel monoton blau wie mit Photoshop gemalt, die untergehende Sonne lässt den Schlick der Wesermündung glitzern. Vor diesem Postkartenszenario hocken Menschen auf den steinernen Bänken der neuen Uferbefestigung Bremerhavens und picknicken. Fläzen sich dann zum Nachtisch auf die andere, grasweiche Seite des Deichs. Mehr als 200 Zuschauer erwarten die Uraufführung von „Meteor“ vor dem Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM). Jens-Erwin Siemssen und sein Dokumentartheaterteam „Das letzte Kleinod“ haben sich für die Außenbespielung des Ausstellungshauses mit der Forschungsschifffahrt beschäftigt.
Drinnen wird sich damit für die Öffentlichkeit gerade nicht beschäftigt, da die entsprechende Abteilung geschlossen ist. Die etwas verschnarchte Institution befindet sich im Modernisierungsmodus und fand es zur Illustration des Imagewandels reizvoll, für die Kooperation mit dem Kleinod Geld aus dem Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für das Wissenschaftsjahr 2016/17 zu beantragen. Das fordert zur Auseinandersetzung mit „Meeren und Ozeanen“ auf. Um „neue Konzepte zur Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte“ zu unterstützen, wurde auch das Theaterprojekt finanziert.
Zur Vorbereitung buchte sich Siemssen auf der „Meteor III“ für einen viereinhalbwöchigen Törn von Swakopmund in Namibia nach Kapstadt in Südafrika ein, um Forscher zu erforschen, die sich, wie er sagt, „mit Kaltwasserfingern beschäftigen“ und dazu die Leitfähigkeit, Temperatur und Tiefe des Meers messen. Als Reiselektüre nahm der Theatermacher das 400-seitige Expeditionsbuch von Fritz Spieß mit. Der war Fregattenkapitän und hydrografischer Referent der Nautischen Abteilung bei der Marineleitung.
Keine Wissenspädadogik
Zwischen 1925 und 1927 schipperte Spieß mit der ersten „Meteor“ 14 Mal zwischen Afrika und Amerika über den Südatlantik. Dabei wurden Daten zur Kartierung des Meeresbodens und der Zirkulation der Wassermassen gesammelt – und Spieß und sein Team zu Helden des Gründungsmythos der modernen Meeresforschung, weil sie von der Beschreibung visueller Eindrücke zur Messung physikalischer Gegebenheiten übergingen. Mit der Echolottechnik entdeckten sie den mit 560 Metern flachsten Punkt des Meeres – heute „Meteor-Bank“ genannt – und mit acht Kilometern auch den tiefsten. Bis in die 1960er-Jahre dauerte es, bis all die Zahlen zu Temperatur, Salz- und Gasgehalt sowie Planktonführung auf allen Strömungsebenen ausgewertet waren.
Aber kann eine Inszenierung dieser Sachverhalte, wie in der Museumspressemitteilung behauptet, „Bedeutung und Notwendigkeit der Meeresforschung“ vermitteln und „Verständnis für die Sensibilität des Lebensraumes Ozean“ wecken? „Das schreit natürlich nicht unbedingt nach Theatralisierung“, sagt Siemssen. Die Lebensbedingungen, das menschliche Empfinden an Bord, damit aber könne man eine Aufführung gestalten.
Und so versucht sich Siemssen gar nicht erst als Wissenschaftspädagoge, sondern am Abgleich der Spieß’schen Beschreibungen mit dem selbst erfahrenen Alltag an Bord. 16 Mitglieder der Schiffsbesatzung hat er interviewt – und lässt mit ihren Worten nun die historisch kostümierten Figuren der „Meteor“ reden. „80 Prozent des Stücktextes sind O-Töne von meiner Reise“, sagt er.
Das Ineinanderblenden zweier Realitätsebenen klappt ganz hervorragend – der Abend zeigt einen zeitlosen Trip Wissenshungriger. „Denn die Probleme haben sich eigentlich nicht geändert“, so Siemssen. Authentisch wirkt es etwa, wenn die Mannschaft über die Arroganz der Ozeanografen und Physiker herzieht, während diese sich über die Ahnungslosigkeit der Crew-Mitglieder mokieren. „Dass wir hier sind, ist deren einzige Existenzberechtigung“, so ein Wissenschaftler. Was die Meeresforscher davon halten, sich mit der Geschichte ihres Arbeitsgebietes zu beschäftigen? „Heute muss ein Informatikstudent ja auch nicht mehr lernen, wie ein Commodore 64 funktioniert“, heißt es im Text.
Wissenshungrige auf Trip
Unverändert aktuell allerdings, wenn die Akademiker schwankend in DSM-Fenstern hocken und über die Seekrankheit jammern. Sich jetzt sofort über dieses oder gleich über jenes Buch übergeben, das ist hier die Frage. Und die Klage zieht weiter zum schlechten Essen. Es sind stets reizvolle Brüche, wenn ansatzlos von heutigen zu 100 Jahre alten Textpassagen gewechselt wird – etwa der Kapitän plötzlich kaiserstolz erklärt, wie seine Matrosen in den Hafenstädten deutschnational Flagge zeigen. Nicht erwähnt wird dabei eine wahrlich putzige Randnotiz: Losgeschickt wurde die deutsche Atlantikexpedition auch, um zu erkunden, ob der Goldgehalt des Meerwassers in so großen Mengen nutzbar zu machen sei, um damit die Schulden des Ersten Weltkriegs zu bezahlen. Ach, eine Hoffnung nur.
Nicht zu erleben ist in Bremerhaven auch der Bewegungsmangel und Begrenztheit der Räume geschuldete Stress auf dem Schiff. Dass es schwer ist, sich an die mangelnde Privatheit in engen Doppelkabinen zu gewöhnen, hat auch Siemssen erlebt. Auch wenn es heute komfortabler sei. Denn auf der mit knapp 70 Metern Länge ein Drittel kleineren ersten „Meteor“ lebten noch 130 Menschen. „Auf meiner Tour waren wir 70, davon 22 Wissenschaftler, insgesamt ein Fünftel Frauen.“
Erfahrungen vom Miteinander zu vermitteln, das soll nachgeholt werden, wenn die nächsten Aufführungen vor, auf und in den Waggons des Kleinod-eigenen „Ozeanblauen Zugs“ stattfinden, mit dem „Meteor“ bis zum 12. Juli im nördlichen Deutschland bis rüber nach Frankfurt/Oder auf Tournee ist. „Dann werden zur 60-minütigen Bremerhavener Fassung, eine grobe Skizze, noch 25 Minuten addiert, die inhaltlich kritischen“, so Siemssen.
Soll auch Langeweile inszeniert werden? „Ach, die kommt gar nicht auf an Bord“, sagt Siemssen. Es gibt auf der „Meteor III“ ein Satellitentelefon für alle, statt großer Bibliothek ein Intranet mit Spielfilmen, Vorträge gehören zum Alltag. „Immer mal wieder lädt auch der Kapitän in die Messe, stellt eine Buddel Schnaps auf den Tisch und lässt diskutieren.“ Auch sonst ist Alkohol ein Thema. Es gibt ihn zollfrei an der Bar, dort kostet ein in Bremen oder Jever gebrautes Pils nur 33 Cent.
In Bremerhaven wurden vor allem die großen Panoramaszenen der Inszenierung gezeigt. Etwa die Äquatortaufen als bunter Abend an Bord. Oder das Auslaufen in Wilhelmshaven, wo die „Meteor“ auf der Reichsmarinewerft vom Kanonenboot zum Vermessungsschiff umgebaut worden war. Etwas intimer wird es, wenn sich die Darsteller unter die Zuschauer mischen – und Leihgaben aus dem Museum erklären. Es gibt billige Regieideen – wenn der Rio-de-Janeiro-Landgang vor allem aus Sambatanzen besteht. Es gibt beklemmende Szenen – wenn das Ertrinken eines Mannes über Bord minutiös erklärt und getanzt wird. Und es gibt inhaltsfreien Jux – wenn Statisten als Pinguine, Robben, fliegende Fische, Riesenrochen herumtollen und Haiangeln spielen.
Das Publikum verkriecht sich hingegen so nach und nach unter Decken und in Himalaya-erprobte Textilien. Steife Brise aus Nordost, monoton schwarzer Himmel und feucht attackierende Frühlingskälte. Die Open-Air-Saison ist eröffnet.
Nächste Aufführungen: Sa/So, 13./14. 5., 21 Uhr, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven; Mi/Do, 23./24. 5., 20 Uhr, Bahnhof Geestenseth. Alle Termine unter www.das-letzte-kleinod.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen