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Schlager, und das ist gut so

Friedens-Bewegung

In Kiew finden in diesen Tagen die Proben zum Eurovision Song Contest statt. Das Finale ist am kommenden Samstag, und die öffentliche-rechtliche Open-Air-Party dazu macht der NDR auf der Reeperbahn. Zwischen „Tagesschau“ und Liveübertragung wird am Abend eine Show mit Stars und Sternchen geboten. Die wichtigste unter allen wird eine sein, die von alternativer oder linker Seite gern verspottet wurde, weil sie 1982, damals noch beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, „Ein bisschen Frieden“ sang und damit erstmals den Titel nach Deutschland holte: die Saarländerin Nicole.

Mit historischem Abstand, darf man sagen: Sie war und ist eine Große. Häme fällt auf die Hämischen zurück. Denn ihr Lied war damals der glaubwürdigste Ausweis deutschen Kriegsabstinenzlertums, ein gesungenes Zeugnis tiefster Betroffenheit ob der militärischen Wirren in vielen Teilen der Welt. Anders als jene, die wie Katja Ebstein unentwegt herumtröten, dass sie Schlager nur der vielen Schuhwünsche wegen gesungen hätten, war Nicole die Schlagersängerin, die sich für ihr ästhetisches Genre nie entschuldigte. Sie lieferte lieber anspruchsvolles Liedgut für den Alltag – und nicht für Poptheoretiker.

Zur Erinnerung: 1982 spöttelte die halbe grün-alternative Szene, weil Nicole von persönlichem Frieden sang, nicht vom Krefelder Appell oder vom letzten Initiativantrag gegen die Nato-Nachrüstung, von wem auch immer. Das war fein, das war ein pazifistisches Bild von Deutschland, das sie zeichnete – und das war auch ästhetisches Dementi auf deutsches Liedgut aus braunen Tagen.

Ihre Stimme ist von gläserner Metallizität, ihre Körpersprache so kühl wie die der Französin Patricia Kaas, nur smarter. Nicole ist die deutsche Jury-Präsidentin des ESC für Kiew – es wird Zeit, dass sie von unsereins aus der (Selbst-)Verachtung genommen wird: keine Anbiederin, sondern deutsche Friedensapostelin. Und außerdem: eine bekennende Europäerin, die sich im Saarland gut aufgehoben fühlt.

Unbedingt hingehen! Und: Es möge dieses Jahr nicht aus Eimern schütten. Andererseits: ESC ist, wenn das Wetter sowieso egal ist. Außerdem im Showteil: die Kelly Family – müssen ja auch über die Runden kommen, ihre Kindheiten waren schwer genug –, Mando Diao und diese … Dings, äh, Helene Fischer. JAF

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