: Sächsisches Universalgenie
MALEREI Aus der DDR ausgebürgert, im Westen nie richtig angekommen und in seinem Werk oft missverstanden: Nachruf auf den Künstler A. R. Penck
von Claus Löser
Im Herbst 1980 wurde von der Polizei in der Kölner Bahnhofsgegend ein stark alkoholisierter Mann aufgegriffen, der sich nicht ausweisen konnte. In den Taschen seiner Kutte fanden sich mehrere tausend D-Mark, über deren Herkunft ebenfalls nichts herauszubekommen war. Die Beamten nahmen die verdächtige Person mit aufs Revier. Am nächsten Morgen durfte diese ein Telefonat wahrnehmen. Nach wenigen Minuten traf der Galerist Michael Werner ein, um seinen wichtigsten Künstler auszulösen: A. R. Penck, mehrfacher Documenta-Teilnehmer und auf dem internationalen Kunstmarkt hoch gehandelt.
Geboren 1939 als Ralf Winkler in Dresden, war Penck wenige Wochen vorher von Deutschland-Ost nach Deutschland-West übergesiedelt. Er hatte diesen Schritt nicht freiwillig unternommen. Doch sein Status in der miefigen DDR war für alle beteiligten Parteien zunehmend unhaltbar geworden. Während er im Westen immer berühmter wurde, war er im Osten längst eine Persona non grata. Galerist Werner vertrieb seine Werke exklusiv, ständig wurden Bilder und Zeichnungen über diplomatische und andere Kanäle durch den Eisernen Vorhang geschleust, ebenso illegal fand anteiliges Geld aus den Erlösen wieder zurück nach Dresden.
Dabei hatte Penck als Künstler in der DDR quasi Berufsverbot. Da man ihn im „Verband Bildender Künstler“ (VBK) nicht haben wollte, durfte er weder verkaufen noch ausstellen, ja er durfte nicht einmal Farben in den für VBK-Mitglieder reservierten Läden erwerben. Juristisch stand er also ohnehin schon mit einem Bein im Knast, denn in der DDR galt Arbeitspflicht. Doch vor diesem Schritt schreckte man dann doch zurück – das hätte negative Schlagzeilen gebracht. Also lösten die Funktionäre den schwierigen Fall etwas subtiler. Penck wurde ganz einfach erpresst. Da er für das im Westen verdiente Geld nie einen Pfennig Steuern gezahlt hatte, wurde er vor die Alternativen Gefängnis oder Ausreise gestellt. Da ging er.
Entwurzelt
Auf Penck traf Biermanns Liedzeile „Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier“ exemplarisch zu. Den Verlust der hassgeliebten sächsischen Heimat hat er wohl nie richtig verwunden. Die Kölner Bahnhofs-Anekdote erzählte er mir in einem langen Gespräch, das wir im April 2007 führten. Er wollte damit seine Entwurzelung nach dem Umzug beschreiben.
Geld war zunächst das Einzige, woran er sich im Westen festhalten konnte, deshalb trug er es ständig in Bündeln mit sich herum. Im Kölner Bahnhofsviertel hielt er sich auch wegen der Horrorfilme auf, die dort rund um die Uhr gezeigt wurden. Sein Lieblingsfilm war „Dawn of the Dead“ von George A. Romero. Er meinte, dass er den Kapitalismus dank dieses Films ein wenig besser verstanden hätte: die letzten Überlebenden verschanzen sich in einem Einkaufszentrum und schwelgen in der Warenwelt, während sich gleichzeitig draußen der Ring der blutrünstigen Zombies immer dichter schließt.
Der schmerzhafte Bruch in seiner Biografie war auf der letzten großen Werkschau des Künstlers zu Lebzeiten, 2007 in Frankfurt am Main, deutlich ablesbar. Während die noch in der DDR entstandenen Arbeiten von einer trotzigen Gelassenheit getragen waren, überwog nach 1980 die Zersplitterung. Penck hielt es nicht lange in Westdeutschland aus. Bereits 1983 zog er nach London weiter, später nach Dublin, wo er bis kurz vor seinem Tod dann hauptsächlich lebte. Insgesamt zog er sich vom Kunstmarkt mehr und mehr zurück, mied die Öffentlichkeit.
Anlässlich seines 75. Geburtstages 2014 versuchten wir, gemeinsam mit dem Filmfest Dresden und der Städtischen Galerie Dresden, ihn in seiner Geburtsstadt mit einer filmischen Werkschau und einer Ausstellung zu ehren. Er lehnte ab – er hätte dafür keine Zeit, da er sein Alterswerk vorbereite. Dass es dieses Alterswerk gibt, bleibt jetzt nur zu hoffen.
Die Bedeutung Ralf Winklers alias Pencks kann gar nicht hoch genug eingestuft werden. Körperlich eher von kleinem Wuchs, war er doch ein ganz Großer: einer, der gegen alle Widerstände immer weitermachte und ein hochkomplexes Oeuvre schuf, an dem sich noch Generationen von KunstwissenschaftlerInnen werden abarbeiten können.
Doch der Zugang zu seinem Denken wird eben nicht verstellt von intellektuellen Erklärungsapparaten, sondern kann ganz direkt und sinnlich erfolgen. Mit dieser Unmittelbarkeit stand er in einer mehr und mehr auf Oberflächen operierenden Kunstszene zwangsläufig im Abseits. Erfolg generiert sich heute meist aus Marketingstrategien. Ateliers werden wie mittlere Unternehmen geführt, die Brandings platzieren. A. R. Penck tat das Gegenteil: er bot Angriffsflächen, zeigte sich verletzbar. Seine berühmten Strichmännchen sind keine Markenzeichen zum Zwecke der schnellen Wiedererkennbarkeit, sondern archaische Symbole des Aufeinanderzugehens. Die seitwärts ausgestreckten Hände signalisieren Waffenlosigkeit, bedeuten den Wunsch zur Kontaktaufnahme, nicht zur Abwehr.
Mit Punk, den „Neuen Wilden“ hatte er nichts zu tun
Pencks Schaffen wurde immer von Missverständnissen begleitet, auch in Bezug auf die Strichmännchen. Das größte Missverständnis war sicher die Zuordnung zur Welle der „Neuen Wilden“, die Ende der 1970er infolge der Punk-Domestizierung kurzzeitig den Markt erhitzte. Damit hatte er nun wirklich gar nichts zu tun – außer, dass er ein stets aufgeschlossener Mensch war, der sich für die Aktivitäten der jungen Leute interessierte. Seine ersten „Großen Weltbilder“ entstanden Anfang der 1960er – da waren viele Punks noch gar nicht geboren. Und was steckt nicht alles in diesen Gemälden!
Hätte es ein paar Menschen mehr mit der Courage des Künstlers und Menschen Ralf Winkler gegeben, die DDR wäre weniger grau gewesen oder früher zusammengebrochen. Er hat Plattenhüllen für Wolf Biermann entworfen und an Defa-Filmen mitgewirkt. Er hat gemalt und musiziert, hat Gedichte geschrieben, Bücher und Skulpturen hergestellt, hat mit allen erdenkbaren Materialien gearbeitet und eine Reihe von Super-8-Filmen gedreht. Vor allem aber war er nie auf sich allein fokussiert, sondern fühlte sich verantwortlich für Freunde und Kollegen wie Helge Leiberg, Lothar Fiedler oder Ralf Kerbach.
Deshalb unterstützte er mit seiner günstig in DDR-Mark umgetauschten Westkohle zu Dresdner Zeiten Projekte wie die legendäre Edition „Obergrabenpresse“ oder die private Ausstellung mit dem programmatischen Titel „Erste Integration junger Zeitgenossen“. Immer suchte er den Kontakt zu Mitstreitern, arbeitete oft in Gruppen. Umso schwerer traf ihn deshalb der Verrat von vermeintlichen Freunden, wie der des Alexander „Sascha“ Anderson, der ihn im Osten als IM bespitzelte und später im Westen bei der Gründung des Galrev-Verlags wirtschaftlich über den Tisch zog.
Vor einem Jahr erlitt Penck einen Schlaganfall, von dem er nur in kleinen Schritten genas. Nun ist er im Alter von 78 Jahren gestorben. Sein Werk wird sich in seiner Fülle und in seinem Reichtum noch erschließen. Es stellt eine einzige, großzügige Ermutigung dar.
Der Autor leitet das Kunst- und Kulturzentrum Brotfabrik in Berlin-Prenzlauer Berg
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