: Der Zauber des Altruismus
FUSSBALL Weil Real-Coach Zinédine Zidane seinen Starspieler von den Vorteilen einer neuen Rolle überzeugen kann, dankt es ihm Cristiano Ronaldo mit Toren sonder Zahl
aus Madrid Florian Haupt
Zinédine Zidane strahlte, seine Glatze schien noch mehr zu funkeln als gewöhnlich. Abbild einer glitzernden, rauschenden Nacht, der größten Real Madrids vor eigenem Publikum seit vielen Jahren. Draußen feierten die Fans überschwänglich die Demontage des Stadtnachbarn Atlético, der ihnen mit seinem kratzbürstigen Fußball so viele Probleme gemacht hatte in den letzten Jahren. Drinnen erklärte der Trainer den Schlüssel zum Erfolg. „Wir waren technisch sehr gut“, sagte Zidane, deshalb habe man die eigene Idee durchsetzen können. Worin die besteht, was dieses Team auszeichnet? „Zu spielen, immer spielen, wir haben sehr gute Spieler.“
Darum geht es, das ist die Essenz seit den Zeiten von Alfredo Di Stéfano: den Gegner zu besiegen, weil man die besseren Fußballer hat. So einfach, so schwer. Der Heldenklub Real entzieht sich allen konzeptuellen Avancen, er war nie ein Trainerverein wie etwa der FC Barcelona. Hier sollen die Spieler strahlen wie Cristiano Ronaldo, dreifacher Torschütze in diesem wohl schon entscheidenden Halbfinal-Hinspiel der Champions League, und das begreift Zidane so intuitiv wie kaum ein Vorgänger – er war ja mal selbst einer dieser Helden. Sanft, fast unbemerkt und daher umso erfolgreicher lässt er trotzdem abrufen, was ein Trainer eben verlangen muss: Intensität, Solidarität, Stringenz. Dieses 3:0, Reals erstes Spiel ohne Gegentor in der aktuellen Europapokal-Saison, war vor allem auch Madrids beste Teamleistung seit langer Zeit.
Das hob nicht zuletzt der hervor, für den nach acht Toren in den letzten drei Champions-League-Spielen kein Superlativ mehr zu hochgegriffen scheint. Den „totalen Spieler“, nannte ihn die Sportzeitung As. Früher hätte sich CR7 nach so einer Nacht kräftig auf die eigenen Schultern geklopft oder mit irgendwelchen Kritikern abgerechnet. Doch wie sehr Zidane das Ambiente beseelt, merkt man nicht zuletzt an Ronaldos neuem Altruismus. Nicht nur auf dem Platz, wo der 31-Jährige seinen Hattrick per Kopf, Schuss und Abstauber markierte, aber zusätzlich rannte, presste und verteidigte – auch vor den Mikrofonen. Ronaldo sprach ebenfalls vom „totalen Spiel“, aber er meinte die Mannschaft. Seine Tore 398 bis 400 (nach eigener Zählung, offiziell: 399) in knapp acht Saisons bei Real nivellierte er fast bis zur Unkenntlichkeit. Zu treffen sei bei so einem Team nur das Ergebnis eines „natürlichen Prozesses“.
Wer hätte schon gedacht, dass ihm mal falsche Bescheidenheit nachgesagt werden muss? In Wahrheit ist seine Trefferserie die vielleicht bemerkenswerteste Leistung seiner Karriere und wird dadurch gewiss nicht schlechter, dass er fünf Tore davon gegen den weltbesten Torwart Manuel Neuer erzielte und drei jetzt gegen die weltbeste Abwehr von Atlético um den wahrlich auch nicht schlechten Jan Oblak. „Ein Tor gegen Oblak ist wie ein Block gegen LeBron James, zwei wie ein Tunnel gegen Paolo Maldini, drei wie ein 6:0 gegen Roger Federer“, dichtete ein Kolumnist der Sportzeitung Marca.
Die Torjäger (2016/2017)
1. Messi (Barcelona) 11
2. Ronaldo (Real Madrid) 10
3. Cavani (Paris St. Germ.) 8
4. Lewandowski (Bayern) 8
5. Aubameyang (BVB) 7
6. Aguero (ManCity) 5
6. Benzema (Madrid) 5
6. Mertens (Neapel) 5
Die Torjäger (insgesamt)
1. Cristiano Ronaldo 103
2. Lionel Messi 94
3. Raul 71
4. Ruud van Nistelrooy 56
5. Karim Benzema 51
6. Thierry Henry 50
7. Zlatan Ibrahimovic 49
8. Andrij Schewtschenko 48
9. Filippo Inzaghi 46
10. Didier Drogba 44
Bei so viel neuer Lässigkeit kann Ronaldos Metamorphose vorerst als vollkommen bezeichnet werden. Seit ihn Zidane beim Ligaspiel in Las Palmas im September erstmals auswechselte, damals noch unter Zetern, hat sich ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Der Franzose schaffte, woran vor ihm alle Trainer gescheitert waren: den Weltfußballer von der Notwendigkeit gelegentlicher Pausen und einer Änderung seines Spielstils zu überzeugen. Allein in den letzten sechs Ligaspielen ließ sich Ronaldo dreimal aus dem Kader rotieren, und die altersgerechtere Rolle als klassischer Mittelstürmer füllt er dermaßen brillant aus, dass man sich seine Trefferquote gar nicht ausmalen mag, hätte er schon immer so nah am gegnerischen Tor gespielt. Instinkt für Ball und Raum, kanonenharter Schuss mit beiden Füßen, makellose Kopfballtechnik, keine athletischen Limits: Es handelt sich um den perfekten Torjäger, zweifelsohne den besten der neueren Fußballgeschichte.
Zum Jubeln setzte sich Ronaldo auf die Bande vor den Fans, die auf das erste Double aus Meisterschaft und Europapokal seit 1958 hoffen und fürs Erste mit 15 kontinentalen Spielen ohne Niederlage einen neuen Klubrekord erlebten. Dass die Strähne im Rückspiel nächsten Mittwoch endet? Möglich. Dass Real ausscheidet? Auch möglich. Atlético-Trainer Diego Simeone sagt: „Der Fußball ist zauberhaft.“ In der Tat, diese Saison schenkte er ja schon Wunder wie das 6:1 von Barcelona gegen Paris. Oder acht Tore in drei K.-o.-Spielen von einem einzigen Stürmer.
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