Fünf Tage Vielfalt

Theater Am Bremer Theater hat das inklusive Festival „Mittenmang“ begonnen – die Produktionen setzen auf gleichberechtigte Teilhabe, anstatt Unterschiede zu betonen

Werden abgeschoben ins Heim: Alte sind die zahlenmäßig größte Gruppe der Ausgegrenzten Foto: Theater Bremen

von Jens Fischer

Rentner-Rebellion auf dem Goetheplatz, auch eine Schlafwandel-Prozession ist avisiert. Dazu Masken-, Puppen-, Sprech- und Klangtheater. Und die vertanzte Identitätssuche eines Afrikaners. 200 Künstler aus sieben Ländern sollen ab heute fünf Tage lang „Mittenmang“ in Bremen ein inklusives Festival gestalten. Und zwischen normal Behinderten und behindert Normalen eben nicht die Unterschiede betonen, sondern die jeweiligen Besonderheiten nutzen, eigene Ausdrucksformen in der gemeinsamen Arbeit zu suchen und zu finden. Als Beispiel gleichberechtigter Teilhabe.

Viele freie Theatergruppen entdecken in dieser kreativen Auseinandersetzung ihre ästhetische Sprache. Im Spielplanalltag des Theaters Bremen ist diese Arbeit nicht vorherrschend. Auch in der Zusammensetzung des Ensembles folgt man dort nicht dem Beispiel etwa des Staatstheaters Darmstadt, das zwei körperlich eingeschränkte Schauspieler fest engagierte. Jana Zöll hat Glasknochen, eine Erbkrankheit, und sitzt ebenso im Rollstuhl wie Samuel Koch, der nach einem Unfall vom Hals abwärts querschnittgelähmt ist. Aber das Theater Bremen verzichtet nicht auf das Thema, sondern lädt Produktionen des Blaumeier-Ateliers zu Gastspielen ein – und öffnet das Haus jetzt eben zum zweiten Mal für „Mittenmang“. Bereits die erste Ausgabe war fast komplett ausverkauft gewesen.

Veranstalter ist die für solche Events gegründete Kunst-und-Kultur-Abteilung der Lebenshilfe. 1997 startete sie mit dem Mainzer „Grenzenlos“-Festival. „Wir wollen zeigen, dass Behinderte auch etwas zu geben haben und daher inklusive Performances öffentlichkeitswirksam darstellen“, erklärt Andreas Meder, Festivalleiter in Mainz und Bremen. „Wir präsentieren nicht sozialpädagogisch herausragende Projekte, sondern wählen nur Produktionen aus, die uns nach rein künstlerischen Kriterien überzeugt haben.“ In Mainz ist Meder mit seinem Konzept inzwischen im Staatstheater als Spielort angekommen, organisiert aber auch alljährlich „Alles muss raus“ in Kaiserslautern, Wismars „BoulevART“, „Begegnung in der Kunst“ in Kirchheimbolanden sowie als Biennale „No limts“ in Berlin.

Sein Team kuratiert zudem Einzelfestivals. Einige Theatergruppen werden immer wieder gebucht. So entsteht eine Art Tourneefestival, das lokal sein eigenes Gesicht erhält. Es wird in Bremen geprägt vom inklusiven Exportschlager der Stadt. Die Blaumeiers machen Straßentheater und Musik auf dem Goetheplatz, zeigen Kunst im Theater und auch die große Eröffnungsgala ist ihre Show.

Positiv gesehen nutzt das Festival die Popularität der bundesweit vorbildlichen Waller Kunstarbeit gerade mit geistig, psychisch behinderten Menschen. Negativ gesehen – verengt sich der Veranstaltungsreigen ein wenig auf den Aspekt Downsyndrom. Mit solchen Künstlern arbeiten auch die gastierenden Theater Hora, Hijinx Theatre, Mind the Gap und Danza Mobile. Zudem präsentiert die Osterholzer Galerie im Park die Ausstellung „Touchdown“ zum Thema. Nicht dass das uninteressant wäre, aber dieser Fokus ist eben seit Jahrzehnten – gerade dank Blaumeier – recht präsent in der Stadt. Weniger die große Vielfalt an Theaterprojekten mit Menschen, die geh-, seh-, hörbehindert sind, Lähmungen, Depressionen, eine hohes Alter haben oder sich durch Krebstherapien kämpfen.

Die Auswahl der Produktionen erfolgte nur aufgrund der künstlerischen Qualität, sagt Festivalleiter Andreas Meder

Umso erfreulicher sind daher zwei Programmpunkte. Denn „Mittenmang“ in Bremen dabei ist auch Panaibra Gabriel Candas Choreografie „Metamorphoses“ – und begibt sich auf die Suche nach der Transzendierung des Menschen, ganz konkret durch Ausgleich körperlicher Behinderungen dank technischer Hilfsmittel und – transhumanistisch weiter gedacht – durch digitales Aufmotzen und künstliche Intelligenzsteigerung des Mängelwesens.

Besonders reizvoll klingt eine Produktion, die sich mit der zahlenmäßig größten Gruppe Ausgegrenzter beschäftigt: den Senioren. Dem Leistungs-Husch-Kusch nicht mehr gewachsen, den modern familiären Kontexten hinderlich, als Konsumenten nicht mehr für jeden Mist verführbar, werden sie als Behinderte abgeschoben in Heime. Aber nun haben sie genug von endlos flimmernder TV-Berieselung, Spielenachmittagen und Kantinenkost: Die französischen Theatermacher von Adhok inszenieren mit „The great escape – emergency exit“ den Ausbruch der Alten aus ihrer Abschiebehaft.

Und inwieweit ist das Barrieren schleifen wollende Festival selbst barrierefrei? „Wir geben ein Programmheft extra in leichter Sprache heraus“, betont Karolin Oesker von Blaumeier. Bei rechtzeitiger Anmeldung würden Rollstuhlplätze vorbereitet. Gebärdensprache-Dolmetscher und Audiodeskription werden allerdings nicht eingesetzt. Die Nachfrage fehle, so Oesker, „und die Stücke erzählen sich auch ohne das.“

Eine Übersicht aller Termine findet sich unter www.theaterbremen.de