Kritik: Jens Fischer über die Junge-Akteure-Produktion „Still out There“: Leider nur unverbindlich aufmüpfig
Draußen das Bühnenbild meines Lebens: Bremen. Per Ohrstöpsel wird es mit Daten und Geschichten hörspielend angereichert. So soll sich der Blick auf die sattsam bekannte Stadt und ihre Menschen verändern. Ganz konkret dort, wo das Viertel am Vierteligsten ist: im Ostertor. Es wird gefragt, ob sich Hausbesetzer von einst wirklich nur durch einen Vokal vom Hausbesitzer von heute unterscheiden. Und wie die Entwicklung vom revoluzzernden zum gentrifizierenden Bürger umgekehrt werden kann. So rebellisch lädt das Moks zur theatralen Quartiersbegehung ein.
Zusammen laufen, das sei nicht wenig, nämlich der Anfang einer jeden Bewegung. Es könnte der Auftakt eines kommenden Aufstands sein. Beschworen wird dazu der Geist der Stadtmusikanten. Solidarisierten sich einst doch die Aussortierten, musizierten tierisch drauflos, besetzten ein Haus für ihre Kommune und … mehr weiß man nicht. Aber sie seien immer noch „Still out there“ in den Wäldern des Bremer Umzulandes, behauptet das Regieduo Fabian Lettow/Mirjam Schmuck (Kainkollektiv) – und betitelt so ihre Audiowalk und Musiktanztheater verklammernde Produktion. Vier Zuschauergruppen sollen die Fährten des Widerstands aufnehmen. Ich bin der Hunde-Gruppe zugeteilt.
Zum Bleicherpad geht es. Für Hunde verboten, zeigt ein Schild. „Wir wollen hier stinkende Geschäfte ausgraben, statt sie zu hinterlassen.“ Hinter den Schmuckfassaden der Prachtbauten am Osterdeich werden nun im elegant literarisierten Tonfall anschauliche Infos zu den trostlosen Baracken des Hausgesindes serviert, die einst dort standen. Auch vom ehemals gegenüber gelegenen Punkendeich ist die Rede, dem ersten Hurenstrich Bremens. Dann kommen wir Spaziergänger selbst zu Wort. Aufgeteilt zu drei Bürgerchören gilt es, die Debatte um die autogerechte Stadt nachzuspielen – am Beispiel der einst durchs Viertel geplanten Mozarttrasse. Gefeiert wird der Triumph des Widerstandes. Aber vergessen, dass ein paar Kilometer weiter östlich die Stadtplaner dann eben Hastedt, Hemelingen und Osterholz zerstört haben.
Zwischen dahingeschlenderten Anekdoten vom Mythos des aufständischen Viertels und der ironisch kommentierten Realität schnieke sanierter Komfortzonen schleicht sich eine gute alte These in den Vortrag: Eigentum ist Diebstahl. Wohnen in diesen Gassen also die modernen Räuber, die wir stadtmusikantisch vertreiben sollten?
Aber der Audiotext durchleuchtet an keinem Beispiel die Genese von Wohn- und Besitzverhältnissen. Unsere Stadtführer öffnen nicht die Türen der Bremer Häuser. Winken nur unverbindlich aufmüpfig zum Sielwallhaus herüber. Rebellentum in Gedanken. Aus Not. Die Räuber unserer globalisierten Zeiten seien doch immer ungreifbarer, ihre Spuren immer unscheinbarer, heißt es. Nirgendwo ein Hinweis, wofür, wogegen sich aktuelle Wut engagieren sollte.
So ratlos geht’s zurück in die Moks-Raumbühnenhöhle. Dort duellieren sich der Sturm und Drang der jungen Akteure mit dem der Eltern, wo die Luft raus ist. Szenisch überschrieben wird all das mit Flüchtlingswirklichkeiten. Eine kriegstraumatisierte Frau verbarrikadiert sich ballettös in Cinderella-Träume. Chorisch kommen Empörungslitaneien zu Gehör und „Macht kaputt, was euch kaputt macht“-Aufruhr im Rapstakkato. Migranten performen arabische Musik. Dazu Videoprojektionen, Gruppenchoreografien, dokutheaternde Biografieschnipsel, heinermüllernde Weltzustandsbeschreibungen …
Das entspricht im wilden Durcheinander zwar der herrlich heterogenen, 40-köpfigen, in Syrien, Delmenhorst, Kroatien, Findorff, Kamerun, Gröpelingen, Argentinien verwurzelten Darstellergruppe. Ist aber einfach viel zu viel. Viel zu viel gewollt und viel zu wenig zu verstehen. Allein schon akustisch. Ein quälend überbordendes Finale einer alternativen Stadtführung.
Termine: 11., 12. und 13. April, sowie 4., 5., 6. und 7. Mai, 18 Uhr, Moks
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