Berliner Szenen
: Ein Reflex

Nervös in der Bahn

Das Ticket finde ich abends unterm ­Küchentisch

Nach Feierabend ist es ist kühl. Ich beschließe, das Fahrrad mit in die S-Bahn zu nehmen. Der Waggon ist voll, fünf Räder sind schon drin. Aber ich muss pünktlich zum Sport. Also ­quetsche ich mich rein und bleibe mit dem Rad an der Tür. Im Laufe der Fahrt steigen noch zwei Radfahrer sowie ein junger Mann mit Kinderwagen zu. An der Bornholmer Straße kommt Bewegung in den Waggon. Mehrere Männer, die laut in einer mir unbekannten Sprache reden, drängeln sich durch. Als die Türen zugehen, sagt plötzlich einer von ihnen laut in bestem Deutsch: „Die Fahrkarten zur Kontrolle, bitte.“

Kontrollen machen mich immer nervös. Das ist so ein Reflex. Obwohl ich eine Jahreskarte für mich und ein Fahrrad-Monatsticket habe. Ich krame in meinem Rucksack – die Tickets sind nicht da. Verdammt! Die sind da immer, in einer ordentlichen kleinen weißen Plastikhülle. Warum jetzt nicht? Ich krame weiter. „Die junge Dame sucht noch, ich bleib hier stehen“, sagt der Kontrolleur direkt neben mir. Verdammt! Mit Rad beim Schwarzfahren erwischt werden ist teuer. Und kostet Zeit, die ich jetzt nicht habe.

Da merke ich, dass der Mann gar nicht mich meint, sondern das junge Mädchen, das aufgeregt in einem Sportbeutel wühlt. Die Kollegen kontrollieren gerade eine Gruppe junger Männer und den Vater mit Kind. Das ist meine Chance. Ich höre sofort mit der Suche auf und sage sehr laut und sehr höflich: „Entschuldigung, aber ich müsste an der nächsten Station raus. Wären Sie so nett, ein wenig Platz zu machen, damit ich mit dem Rad durchkomme, bitte?“ „Aber sicher“, sagt der Kontrolleur ebenso höflich.

Kurz darauf stehe ich auf dem S-Bahnsteig. Leicht zitternd – Kontrollen machen mich ja immer nervös. Das Ticket in der weißen Hülle finde ich abends unterm Küchentisch.

Gaby Coldewey