Berliner Szenen: Muppets und Melodien
Popcorn
Weil ich einmal nachgegeben habe, darf mein Sohn jeden Morgen nach dem Anziehen den Clip mit dem dänischen Koch sehen, der zur Melodie des Songs „Popcorn“ Popcorn in der Mikrowelle macht. Am Ende liegt er unter einem Berg explodierter „Popkörner“, wie mein Sohn sagt und schwingt eine weiße Fahne. Die Belohnung für meine mangelnde Strenge beim Erziehen ist, dass ich jeden Tag diese Melodie als Ohrwurm habe. Ich habe mich einmal informiert, sie stammt von Gershon Kingsley, der als Götz Ksinski 1922 in Bochum geboren wurde und auch den Anfangsjingle der „Pyramide“ komponiert hat, der Ratesendung aus den 80ern mit Dieter-Thomas Heck.
Als in meiner Kindheit die Muppets im Sonnabendnachmittagsprogramm liefen, habe ich nie den Humor verstanden. Ich wusste gar nicht, dass es Kochsendungen gab und dass der dänische Koch eine Parodie darauf war. So eine Melodie wie „Popcorn“ müsste mir mal einfallen, dann könnte ich von den Tantiemen leben. Mir ist aber noch nie im Leben eine Melodie eingefallen, auch wenn ich immer vor mich hinsumme. Ich denke immer, es gibt schon alle Melodien, aber dann kommt wieder ein Song mit einer neuen, die so einfach ist, dass ich mich ärgere, nicht darauf gekommen zu sein. Ich weiß, dass es gegen alle Erziehungsprinzipien verstößt, aber es macht mir Spaß, mit meinem Sohn die Muppets zu gucken, er ist dann ungewöhnlich anschmiegsam und freut sich genau wie ich.
Die Welt wäre besser, wenn sie statt von Menschen von den Muppets bevölkert wäre. Im Kindergarten lese ich auf dem Essensplan, dass es heute Hähnchenkeule mit Rotkohl gibt und bin neidisch, am liebsten würde ich zum Mittagessen bleiben. Zum Nachtisch gibt es „Knabbergemüse“, aber ich kann mir ja heimlich einen Muffin mitbringen. Jochen Schmidt
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