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Die Unmöglichkeit des Frühjahrsputzes

Hadern Unsere Autorin bräuchte einen Frühjahrsputz, und gerade deswegen macht sie keinen. Das wäre völlig in Ordnung, wäre da nicht irgendetwas in ihr, das ihr sagt: Du verhältst dich falsch, du sündigst sozusagen

Je älter, desto Frühjahrsputz: Dem Zuhause ist es egal, wie man aussieht Foto: Jean-Philipp Baeck

von Katrin Seddig

Jedes Jahr, wenn die Sonne wieder unbarmherzig durch die verdreckte Fensterfront scheint, komme ich nicht umhin, festzustellen, wie es in meiner Dachgeschosswohnung wirklich aussieht. Dann entsteht in mir eine Sehnsucht nach Ordnung und Sauberkeit. Jedes Jahr um diese Zeit denke ich, es müsse wirklich befriedigend sein und mich sogar glücklich machen, wenn ich einen Frühjahrsputz veranstaltete und die Wohnung, wenigstens einmal im Jahr, so richtig entrümpelte und saubermachte.

Die Kinder, spinne ich meinen in diesem Punkt völlig unrealistischen Traum dann weiter, könne man mit einbeziehen, und alle zusammen hätten wir eine Wohnung, wie sie andere saubere und ordentliche Menschen haben, zum Beispiel meine Mutter. Aber obwohl ich diesen Traum jährlich wieder träume, habe ich noch kein einziges Mal einen Frühjahrsputz auch nur versucht. Und das, obwohl man auch jedes Jahr allerorten daran erinnert wird.

„Frühjahrsputz für ihre Website“, bekam ich diese Woche eine Mail. Sieh mal einer an. Bei Aldi und Lidl gibt es Kehrsets, Schwammsets, Eimer, Besen, Tücher, Gummihandschuhe im Angebot. „Fit in den Frühling“, heißt das. „Bringen Sie ihr Fahrrad auf Vordermann für den Frühling.“ „Abspecken im Frühling.“ „Fröhlich durch den Frühling. Entschlacken Sie jetzt!“

Körper, Geist und Wohnzimmer müssen für den Frühling hohen Anforderungen genügen. Im Winter darf man noch bei Kerzenlicht im Staub rumliegen und Süßigkeiten essen, im Frühling muss man gesund und schlank die Wohnung putzen. Jetzt fällt mir wieder ein, warum es noch nie so weit gekommen ist. Putzen ist anstrengend und macht keine Freude. Und wie ich dies schreibe, kommt es mir so vor, als könne es doch Freude machen, ein bisschen vielleicht?

Es gehört vielleicht einfach nicht zu den Dingen, die in meiner Welt von Wichtigkeit sind. Für die Generation meiner Eltern und auch für einige Menschen meiner Generation, ist Putzen so wichtig wie Einkaufen, Schlafengehen, zur Arbeit gehen, den Kindern neue Schuhe kaufen. Es hat einen gewissen Stellenwert.

„Weihnachten müssen doch die Fenster geputzt sein“, sagt meine Mutter. In ihrer Welt stimmt das. In ihrer Welt ist Weihnachten mit dreckigen Fenstern nicht vereinbar. In meiner Welt wäre es auch schöner, die Fenster wären geputzt, aber da fast alle anderen meiner Bedürfnisse und Begehrlichkeiten vor denen nach geputzten Fenstern stehen, rücken die Fenster ganz nach hinten und kommen meistens nicht dran. Das wäre auch gar nicht schlimm, wenn nicht in mir, und ich weiß das auch von anderen mir ähnlichen Menschen, etwas schlummern würde, das mir sagt, dass ich mich falsch verhalte, wenn ich dem Putzen so wenig Bedeutung zumesse, dass ich, sozusagen, sündige.

„In so einem Zimmer kann man sich nicht wohlfühlen“, hat meine Mutter früher gesagt, wenn ich inmitten meiner Unordnung saß und zeichnete oder las. Ich fühlte mich schon wohl, bis zu dem Zeitpunkt, als meine Mutter kam und mir sagte, dass ich das nicht könne. Oder mir vielmehr unterschwellig vermittelte, dass ich nicht dürfe. Weil ich sonst falsch wäre. „Wie es in deinem Zimmer aussieht, so sieht es in dir selber aus“, war ein anderer Satz von ihr, und ich musste mich fragen, wie es mit mir bestellt wäre, wenn mein Inneres dem Fußboden meines Zimmer entspräche.

Vielleicht ist es so, dass dieser inkludierte Imperativ in all den Frühjahrsputzangeboten mir das Putzen unmöglich macht. „Ich kann jetzt nicht mehr aufräumen, weil du das gesagt hast“, hat meine Tochter früher geheult. Ich habe immer bezweifelt, dass nur mein Befehlen sie vom Aufräumen abgehalten hat. Ich sollte vielleicht auch bei mir selbst anzweifeln, dass nur der öffentliche Frühjahrsputzdruck mich vom Frühjahrsputz abhält, denn der Druck ist eigentlich so groß nicht. Im Grunde hält eine große Abneigung vor dem Putzen mich vom Putzen zurück.

Ich kenne niemanden, der Frühjahrsputz macht. Meine wirklich ordentlichen Freundinnen machen keinen Frühjahrsputz, weil sie immer putzen. Bei ihnen ist es immer sauber. Sie brauchen keine große Überholung zu starten. Sie überholen und reinigen immer und ständig, wie es anfällt. Ordentliche Leute, das ist meine Theorie, brauchen keinen Frühjahrsputz. Ich bräuchte einen Frühjahrsputz. Aber bei mir wäre das eine größere Aktion. Der Gedanke macht mich schwach.

Der Gedanke des Frühjahrsputzes hängt mit dem der großen Erneuerung zusammen

Vielleicht ist es auch noch etwas anderes. Der Gedanke des Frühjahrsputzes hängt ja mit dem Gedanken der großen Erneuerung zusammen. Die Natur erwacht, die Knospen sprießen, alles pflanzt sich fort, baut ein Nest und so fort. In der Natur macht sich keiner Sorgen wegen des Alters, die Natur kennt nicht mal Sorgen, sie erneuert sich wirklich ständig und die alten im Staub verwesten Überreste des vergangenen Jahres sind sofort vergessen. Aus dem Humus der alten Blätter sprießt schon neues Gras. Wir aber wissen schon, dass wir uns nicht jedes Jahr erneuern.

Ich sah zufällig am Montag in meinen Kosmetikspiegel, als die Sonne direkt in mein Gesicht schien, und ich war schockiert. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich derart tiefe Falten am linken Mundwinkel habe. Im Winter und bei Kerzenlicht sah ich noch ganz frisch aus und plötzlich bin ich aber gar nicht mehr frisch. Das ist der Frühling. Mir wird meine eigene Nichterneuerbarkeit stärker bewusst als sonst irgendwann. Ich muss mich mit dem Zustand meines Körpers, meiner Haare, meiner Haut bei Sonnenschein erst mal langsam anfreunden. Und da soll ich dann die Wohnung frisch machen?

Ich habe tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass Menschen, wenn sie älter werden, mehr darauf aus sind, ihre Wohnung hübsch zu machen als sich selbst. Ich kann das verstehen. Es bringt einfach mehr. Und die eigene Wohnung sieht man auch, wenn man älter wird, viel öfter an, als sich selbst. Man ist öfter zu Hause als in der Jugend, und dem Zuhause ist es egal, wie man aussieht.

Möglicherweise wird auch bei mir dieser Prozess einsetzen und ich werde irgendwann, statt, wie gerade eben, ein neues Kleid, zwei neue Hosen und eine Seidenbluse mir ein neues Kehrset kaufen, die Läufer auswechseln, die Klobrille austauschen und putzen. Vielleicht liegt dieser Abschnitt meines Lebens noch vor mir und vielleicht wird es dann endlich auch in mir selbst so aufgeräumt aussehen wie in meinem Zimmer. Man weiß es nicht.