Hartz-IV-Familien: Bremens arme Kinder
„Kinderarmut“ war am Dienstag Thema einer Podiumsdiskussion – und das Problem ist drängend: Über ein Drittel der Bremer Kinder gelten als arm.
Auf dem Podium saß auch Katja Dörner, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion und Koordinatorin für die Bereiche Wissen, Generationen und Gesundheit. Sie hält vor allem die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder für nicht ausreichend: „Kinder werden da wie kleine Erwachsene verrechnet. Das ignoriert deren Bedürfnisse“, sagte sie. „Ihnen muss eine Teilhabe am normalen Leben ermöglicht werden.“ Aufholbedarf sieht sie auch bei der Bereitstellung finanzieller Unterstützung: „Viele Eltern, die Anrecht auf Kinderzuschlag haben, beantragen ihn nie.“ Entweder wüssten Eltern davon gar nichts oder sie scheiterten an den bürokratischen Hürden.
„Viele Hilfsangebote gelten für Hartz-IV-Haushalte“, erklärte Kirsten Kappert-Gonther, Bremer Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen und deren gesundheitspolitische Sprecherin. „Aber was ist mit Familien, die knapp über der Mindestgrenze liegen?“ Kinder, sagte sie, sollten sich nicht um Geld sorgen müssen. Armut sei nicht nur ein materieller Mangel, sondern erschwere auch die gesellschaftliche Teilhabe. So gebe es in Bremen viele kulturelle und soziale Angebote für Kinder, „aber viele Kinder, beispielsweise aus Tenever, können Angebote am Theater gar nicht wahrnehmen, weil das Geld für das BSAG-Ticket fehlt“, sagte sie.
Kappert-Gonther machte auch auf die gesundheitlichen Auswirkungen von Armut aufmerksam: „Armut macht krank, und Krankheit macht arm“, sagte sie. „Männer, die in Gröpelingen leben, sterben im Durchschnitt acht Jahre früher als Männer in Schwachhausen.“
„Kinderarmut ist immer Elternarmut“, sagte Christian Palentien, Erziehungs- und Bildungswissenschaftler an der Uni Bremen. Deswegen müsse der Blick nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die Eltern gerichtet werden, wenn es um Prävention gehe. „Die Mittelschicht ist in den Städten durch steigende Mieten zunehmend von Armut bedroht“, sagte er.
Und was das bedeutet, fasste Maresi Lassek, Vorsitzende des Grundschulverbandes, in einem Satz zusammen: „Familienarmut erzeugt Bildungsarmut.“ Kinder aus armen Familien hätten schlechtere Aufstiegschancen. Hinzu komme die problematische Schulfinanzierung in Bremen: „Bremer Grundschulen sind für jedes Kind pro Jahr mit 2.000 Euro weniger ausgestattet als Grundschulen in Hamburg“, sagte sie. Innerhalb Bremens wiederum seien Schulen finanziell und materiell sehr unterschiedlich aufgestellt. „In Schulen mit vielen armen Kindern können die Eltern nicht aushelfen, um die Schule zu unterstützen“, so Lassek.
Der Geschäftsführer von Kita Bremen, Wolfgang Bahlmann, erklärte, dass die Hälfte der Bremer Eltern aktuell vom Kita-Beitrag freigestellt sei, da sie Hartz-IV bekämen oder zu wenig verdienten. „Mit der neuen Beitragsordnung ab Sommer rechnen wir damit, dass die Zahl auf 60 Prozent steigen wird“, so Bahlmann.
Maresi Lassek, Vorsitzende des Grundschulverbandes
Viele arme Kinder bekommen aber gar nicht erst einen Kita-Platz. „Bei 8.000 Einwohnern fehlen allein bei uns 120 Kita-Plätze“, sagte Aykut Tasan, Quartiersmanager des Schweizer Viertels im Osten Bremens. „Es gibt einen riesigen Mangel an Kita-Plätzen in Bremen, besonders in den benachteiligten Quartieren“, so Tasan. Dazu gehört das Schweizer Viertel: Über die Hälfte der dort lebenden Kinder gilt als arm. Auch an SozialarbeiterInnen mangele es dort: So sei an einer Grundschule mit 200 Kindern lediglich eine halbe Stelle dafür vorgesehen, sagte Tasan.
Was hilft nun gegen Kinderarmut? Karin Mummenthey, Leiterin des SOS-Kinderdorf-Zentrums, fordert eine bessere Zusammenarbeit der Ressorts, die sich um Kinder kümmern. Kappert-Gonther will Kinder absichern, Beratungsangebote erleichtern und Kitas zu Familienzentren ausbauen. „Da muss natürlich auch über Steuern nachgedacht werden“, sagte sie. Problematisch sei aber auch das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung. „Das muss aufgehoben werden“, sagte sie.
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