An der Diskussion um den Elberadweg in Hamburg zeigt sich, wir sind emotional und verklären: Idylle mit Hundekot
Fremd und befremdlich
Katrin Seddig
In Hamburg wird um ein Projekt gestritten, das wahrscheinlich nie realisiert wird. Es geht um ein neues Teilstück des Elberadweges. Der Elberadweg fängt in Tschechien im Riesengebirge an und endet in Cuxhaven. 1.220 Kilometer kann man radeln, und in Hamburg muss man absteigen. Es ist natürlich lächerlich, denn man muss auf Eintausendzweihundertzwanzig Kilometern auch sonst mal absteigen. Absteigen gehört zum Fahrradfahren ja dazu. Aber wie ist das nun, mit diesem Gegenstand des Zorns?
Es gab einige Bilder im Fernsehen und in Zeitungen, auf denen konnte man Menschen sehen, die lächelnd im Sand sitzen, in Liegestühlen oder auf Decken, Hunde stromerten herum, Kinder spielten friedlich im Sand, und mittendurch zog sich ein monströses, rotes Band von Fahrradweg.
Ich kenne den Strandabschnitt gut, die meisten Hamburger kennen den wohl. Ich habe selber oft da gesessen und Bier getrunken. Sogar Nächte habe ich da verbracht und ich möchte einmal etwas zu dem Stück „Natur“ sagen. Der Strand ist tatsächlich ein von Hunden vollgeschissenes, von Scherben durchsetztes und – mangels Toiletten – vollgepinkeltes Stück Sand.
Ich weiß, es gibt eine Toilette in der Gastronomie. Aber in der Nacht, wenn im Sommer der Strand immer noch bevölkert ist, bis zum frühen Morgen, da gibt es keine Toilette, da gibt es nur ein paar spärliche Büsche. Das Wasser, auf das wir da schauen, unsere gute, alte Elbe, ist eine stark befahrene Verkehrsstraße, und die Schiffe hinterlassen auch Dreck im Wasser, viel gefährlicheren Dreck als Hundekacke und Menschenpipi. Trotzdem ist es da schön. Trotzdem – und Menschen sind nun mal so – geben wir uns einer romantischen Illusion von Natur und Freiheit hin.
Der Strand, das Wasser, die Schiffe, der Himmel, die weite Welt. Wir verbinden mit diesem Stück verschissenen Sands sonnige Nachmittage und betrunkene Abende, wir sind emotional, wir verklären.
Wenn nun einer kommt und will etwas verändern, dann sind wir empört. Wir lassen uns aufwiegeln, wir wollen diesen öffentlichen Ort der Romantik behalten. Ich kann das verstehen. Ich halte den Radweg auch, nach Betrachtung aller Tatsachen, für keine ganz gute Idee. Aber wie die Diskussion darüber geführt wird, zum Beispiel auf der Facebookseite „Meine Uhlenhorst“, wie die Unterschriftensammler gegen diesen Radweg geifern, das ist derart unsachlich und vor allem hasserfüllt, da geht mir der Hut hoch.
Der unselige Streit um den Elberadweg nützt vor allem den Fahradfahrerhassern. Es wird ein Bild entworfen, vom rasenden Radfahrer, der Kinder und Hunde plattmacht. Ich möchte mal an eines erinnern: Jede Straße, die in Hamburg gebaut wurde, war auch mal eine Wiese. Jedes Kind, das sich einem Auto plötzlich in den Weg stellen würde, würde noch viel heftiger überfahren, als von einem Fahrrad. Kinder können überhaupt nicht mehr durch die Stadt rennen, ohne überall gestoppt zu werden. Schuld daran sind nicht in erster Linie Radfahrer, Schuld ist der Straßenverkehr.
Das geplante neue Teilstück des Elberadweges wäre nicht nur für Radfahrer gut, es gäbe endlich auch Rollstuhlfahrern die Möglichkeit, diesen Platz zu nutzen, Familien mit Kinderwagen, Menschen mit Gehhilfe, denn der Weg ist mischgenutzt geplant. Man sollte sachlich argumentieren und die eigenen Wünsche auch mal zurückstellen.
Ich halte den Weg, aus verschiedenen Gründen, auch wegen der ständigen Versandung, immer noch für keine gute Option, aber ich wäre bereit, darüber zu diskutieren, mich mit Argumenten auseinanderzusetzen, ernsthaft, mit gutem Willen. Ich wünschte, andere wären das auch, und würden an solchen Stellen nicht nur eine Möglichkeit sehen, Kübel voll Dreck auszugießen.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen