Gemeinschaftsarchitekt

Architektur Die Akademie der Künste würdigt den Initiator des Hansa-Viertels Otto Bartning in einer längst überfälligen Schau

Otto-Bartning-Siedlung Siemensstadt, Wohnzeile, Nordfassade,Berlin, 1930 Foto: Arthur Köster © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

von Ronald Berg

Im Berliner Hansaviertel gibt es eine Bartningallee. Der Patron der Straße ist zugleich Vater des Hansaviertels in seiner heutigen Form. Otto Bartning (Jahrgang 1883) war Koordinator der Internationalen Bauausstellung von 1957, der Interbau, eben auf jenem kriegszerstörten Areal zwischen Tiergarten und Spree. Bartning brachte die Idee eines städtebaulichen Vorzeigeprojekts, zu dem renommierte Architekten aus aller Welt eine durchgrünte „Stadt von morgen“ gestalten sollten, in praktikable Bahnen. Ursprünglich hatte die Politik in Westberlin der Stalinallee im Ostteil der Stadt nur das Bild einer freien, individualistischen Moderne entgegenstellen wollen. Als die Interbau 1957 offiziell eröffnet wurde, war erst rund ein Drittel der geplanten Gebäude fertig. Bartning starb zwei Jahre später. Die von Hochhäusern und Zeilenbauten gesäumte Bartningallee, die sich durch ein ehemals dicht mit Häuserblocks bebautes Gebiet schlängelt, bekam 1960 ihren jetzigen Namen.

Soziale Moderne

Bartning war schon zu Lebzeiten hochgeschätzt und saß in vielen Gremien. Seit 1908 war er im Werkbund aktiv und seit 1950 Vorsitzender des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Bartning hatte so etwas wie eine soziale Ader. Stark prägte ihn dabei der Erste Weltkrieg. Bartnings zentrale Erkenntnis war die Betonung einer Menschengemeinschaft jenseits aller nationaler Unterschiede. Sein immerhin rund 270 Werke umfassendes Œvre war ein einziger Hymnus auf eine idealisierte Gemeinschaft, der die Architektur Mittel und Ausdruck geben sollte. Den Untertitel der aktuellen Ausstellung in der Akademie der Künste nur ein paar Schritte von der Bartningallee entfernt lautet „Architekt einer sozialen Moderne“. Das meint eine Gemeinschaft schaffende Architektur, wie sie Bartning im Kirchenbau paradigmatisch verwirklicht wissen wollte.

Die nun von Sandra Wagner-Conzelmann nach Themenfeldern mit Plänen, Modellen, Briefen und Großfotos eingerichtete Ausstellung sieht daher in Bartnings nie verwirklichter Idealvision einer Kirche, der Sternkirche von 1922, das Hauptwerk des Architekten. Bartning entwickelte die siebenstrahlige Form des expressionistisch anmutenden Baus aus der Überlegung heraus, Liturgie und architektonische Gestalt zur Deckung zu bringen. Kanzel und höchster Punkt des überwölbten Kirchenraums stehen in einer Achse, der Altar markiert das herausgehobene siebente Segment im Kirchenrund, wenn am Sonntag der Gemeindesaal gegenüber der Feierkirche des Gotteslobs zurücktritt. Die Ausstellung zeigt ein neu gearbeitetes Modell der Sternkirche. Zudem kommt viel unbekannte Material aus dem nun erst erschlossenem Nachlass aus der TU Darmstadt zur Präsentation.

Dass Bartning gegenüber vielen seiner Wegbegleitern aus der klassischen Moderne in der Erinnerung verblasst, liegt wohl hauptsächlich am Fehlen einer klar erkennbaren Handschrift. Stil, Material und Form variieren bei Bartning je nach Bauaufgabe. Kaum bekannt ist ebenso, dass es Bartning war, der im Winter 1918/19 mit Walter Gropius das Programm einer Schule entwickelte, das dem Bauhaus die Grundlage liefern sollte. Erst 1926, an der Bauhochschule in Weimar, die das dort von der politischen Rechten vertriebene Bauhaus beerbte, setzte Bartning als Direktor sein auf praktischem Bauen beruhendes Konzept selbst um.

Am ehesten ist Bartning bis heute als protestantischer Kirchenbaumeister in Erinnerung. Auch in der Ausstellung sieht man viele Kirchenbauten. Mit dem Kirchenbau begann Bartning schon früh, ohne überhaupt sein Architekturstudium vollendet zu haben. Mal in Renaissanceformen, mal in geradezu ärmlich‑protestantischer Schlichtheit. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Bartning expressionistisch, in der Weimarer Republik baute er in Berlin neusachliche Siedlungszeilen in Siemensstadt und Haselhorst und im Dritten Reich schließlich, obwohl kein Sympathisant der Nazis, verhielt er sich unauffällig und verlegte sich auf einen mehr traditionellen Kirchenbau. Sein eigenes Wohnhaus, 1937 im Berliner Westend entstanden, klebt an einer Brandmauer und ist an Unscheinbarkeit kaum noch zu überbieten.

Umso mehr stand Bartning nach 1945 im Mittelpunkt der Debatten. Er bezog klar Position gegen den Wiederaufbau und setzt auf Neuanfang beim Bauen. Seine aktuelle Relevanz käme vielleicht am ehesten an seinem Notkirchenprogramm nach dem letzten Kriege zutage. Die 43 realisierten Notkirchen – eine davon steht in Friedrichshain – bestanden aus vorgefertigten Holzbindern, die innerhalb von Minuten von den Gemeindemitgliedern aufgestellt werden konnten und dann mit Trümmermaterial ausgefacht wurden. Die spirituell wie realiter obdachlos gewordenen Menschen, ob Flüchtlinge oder Ausgebombte, bekamen so schnell, preiswert, aber durchaus funktional einen Ort der Gemeinschaft und der Identifikation. In Zeiten erneuter Flüchtlingsströme würde es sich lohnen, hier wenigstens gedanklich einmal anzuknüpfen.

Akademie der Künste, ­Hanseatenweg 10, bis 18. 6.; Di. 11–20, Mi.–So. 11– 19 Uhrwww.adk.de/bartning