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Dylan hat Literaturnobelpreis bekommenWer nobilitiert wen?

Ausgerechnet am 1. April nimmt Bob Dylan den Nobelpreis an. Seine Zurückhaltung kann als Anwort auf ein vergiftetes Lob gedeutet werden.

Oh, wie schön, ein Dylan! Foto: dpa

Kein Tag ohne Neuigkeiten von Beyoncé, Drake oder Lady Gaga. Die digitale Remixkultur kennt keinen Stillstand. Umso erstaunlicher, dass die Superstars der Gegenwart in puncto Newsproduktion gerade von einem Mann überholt werden, der ihr Großvater sein könnte. Versteigerung eines handschriftlichen Bob Dylan-Songtextes von 1961, episches Interview auf bobdylan.com, Eröffnung eines Bob Dylan-Archivs, Buch zur Bedeutung afroamerikanischer Musik für Dylans Werk, neue Doku von Scorsese, Start der Europatour in Stockholm, Verleihung des Literaturnobelpreises ebendort. Neue Musik gibt´s auch, ein Dreifach-Album. Der Mann hat Sinn für Timing.

Jetzt hat er also endlich den Nobelpreis, den ihm das Komitee seit einem halben Jahr aushändigen wollte, vergeblich, kein Anschluss unter dieser Nummer. Die Website des Nobelkomitees feiert den Vollzug mit einem 34 Sekunden-Video, in dem ein Schriftzug informiert, Dylan werde geehrt „for having created new poetic expressions“. Kein Film von der Zeremonie, nicht mal ein Foto. Auf bobdylan.com, Stand Sonntagmorgen 9.17 Uhr: nichts.

Am Ende hat Dylan bestimmt, wie, wann und unter welchen Bedingungen er den Preis annimmt. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, am 1. April 2017, am April Fool's Day, wie das in Amerika heißt. Nur ein Fool, ein Narr, würde das für Zufall halten.

Nur ein Narr würde es für Zufall halten, dass Dylan 24 Stunden vor dem Aprilnarrentag ein Album veröffentlicht mit dreißig Songs, die sämtlich geschrieben wurden, bevor Dylan seine erste Platte rausbrachte, also sämtlich nicht von Dylan geschrieben wurden. Das neue Album „Triplicate“ enthält Klassiker aus dem sogenannten American Songbook, darunter x-fach interpretierte wie „These foolish things“ oder „Stormy Weather“. Fast alle Lieder wurden von Frank Sinatra aufgenommen, meist in definitiven Versionen.

Danach ist nichts mehr wie davor

Nun bekommt Dylan den Nobelpreis für Literatur ausgerechnet in einer Schaffensphase, in der er ausschließlich poetic expressions zum Besten gibt, die sich andere ausgedacht haben, vor langer Zeit. Kein Mensch weiß, ob dieser Dylan-Phase noch weitere, andere folgen werden, der Mann wird 76. Den Nobelpreis hätten sie ihm 1965 geben sollen, als er seine Gitarre unter Strom setzte und damit nicht bloß die wertkonservativ herzenslinke Folk-Orthodoxie brüskierte, sondern eine Kunstform auf die Welt losließ, für die gilt, was im Pop nur alle Schaltjahre passiert: danach ist nichts mehr wie davor.

Dylans zurückhaltende Reaktion auf die Nobilitierung kann gedeutet werden als Antwort auf ein vergiftetes Lob. Die mit fünfzig Jahren Verspätung vorgenommene Ehrung des Literaten Dylan geht einher mit einer Geringschätzung des Musikers, des Gesamtkünstlers, des Song & Dance Man Dylan, der seit einem halben Jahrhundert kämpft gegen seine Reduzierung auf einen Protestsänger, Pop-Poeten, Lyriker oder was der gut gemeinten Erniedrigungen und Verniedlichungen noch sind.

Den Kampf um die Deutungshoheit – wer nobilitiert wen? – hat der Künstler gewonnen. Allerdings wäre es eine übertriebene Nobilitierung des Nobelpreises, das Dreißig-Songs-auf-drei-CDs-Memorial-Monstrum „Triplicate“ allein als Antwort auf die Nobels zu deuten. Den Albumtitel erklärt Dylan im erwähnten Interview, ein Kunstwerk für sich, das in seinem anekdotischen, scheinbar beiläufigen Konversationston an „Chronicles“ erinnert, sein gefeiertes Memoir von 2004.

Ein Knarzer, Nöhler, Kratzer

Gegen dieses Gespräch mit dem Autor Bill Flanagan verblasst das neue Album, gerade in Sachen Unterhaltungswert. Die Drei in „Triplicate“ sei eine Glückszahl, sagt Dylan, außerdem das Symbol für Licht, und 30 Lieder klängen auf drei CDs einfach besser. Dann steckt da noch „Duplikat“ in „Triplicate“, eine weitere versteckte Botschaft in Richtung Nobelkomitee. Dylan-Songs sind immer auch Duplikate.

Vom ersten Tag an arbeitet er intertextuell. Er schöpft aus vorgefundenem Material, von der Bibel bis Brecht, Ovid bis Chuck Berry, Joni Mitchell bis Robert Johnson: Beg, borrow, steal. Betteln, borgen, stehlen. Oder: Re-Make, Re-Model, Rekontextualisieren, Remixen. Dank dieser Methoden und seiner Fähigkeit, sich immer neue Masken aufzusetzen, auch musikalische, ist Dylan ein modernerer, komplexerer Künstler, als viele seiner Fans wahrhaben wollen, auch die in Stockholm.

Die aktuelle Rückbesinnung auf die Songklassik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist nicht die erste Kehrtwende dieser Art. Schon 1970, auf „Self Portrait“, übt sich der Mann mit der Schmirgelpapierstimme im Crooning von Evergreens wie „Blue Moon“, zum Entsetzen seiner Verehrer. In den frühen Neunzigern überbrückt er eine Schreibblockade mit zwei maximal reduzierten Albumkollektionen aus alten Folk- und Bluessongs. Ein Schritt, der viele Fans irritiert, den allerdings das „Dylan-Dechiffriersyndikat“ (Heinrich Detering, selbst in der Gang) im Nachhinein als Voraussetzung für seine bald folgende künstlerische Genesung interpretiert.

Komplex ist auch sein Umgang mit dem historischen Material aus dem American Songbook, der 2015 mit „Shadows in the night“ begonnen hatte und ein Jahr später auf „Fallen Angels“ fortgesetzt wurde. Die beiden (Einfach-)Alben lebten von ihrer Knappheit, von der Songauswahl, die im Unterschied zu „Triplicate“ Allernaheliegendstes vermied, und von der Versuchsanordnung: Dylan gibt den Sinatra? Helene Fischer macht jetzt Speedmetal? Wim Wenders dreht jetzt Pornos?

Ein Crooner wird Dylan nicht mehr, er bleibt ein Knarzer, Nöhler, Kratzer. „How high is the sky?“, brummt er, und du denkst: zu hoch für deine Stimme. Die durchweg männlichen Kritiker sind gespalten: „Gesanglich überfordert“ titelt die Süddeutsche. Setzen, Sechs. Seine Stimme halte sich „so gut wie lange nicht mehr“, findet der Tagesspiegel. Beide haben recht, die Wahrheit ist eine höhere, dialektische.

Ein länglich geratenes Statement

Natürlich scheitert Dylan an dem Versuch, diese Lieder wie Sinatra zu singen. Aber es ist ein geplantes Scheitern, eine kommentierende Neuaufführung. Wenn er „As time goes by“ singt, das Lied aus „Casablanca“, dann unterstreicht seine brüchige Stimme, was ihr Besitzer gerade verkündet: Zeit vergeht, was für eine Zumutung. Dylan liefert eine Live-Übertragung aus seinem Rachenraum, der Absturz der Stimme ist Teil des Dramas, wie der Beinah-Absturz der Trapezartistin unter der Zirkuskuppel.

„Ich weiß, dass meine Stimme hier und da einbricht, aber das stört mich nicht. In ‚September of my years‘ habe ich nichts repariert“, sagt Dylan. Natürlich ist es kein Zufall, dass er den Absturz ausgerechnet bei diesem Lied ungeschönt lässt, auf dass der Pawlowsche Hörer denkt, der ist doch längst im November seines Lebens. Dylan forciert solche Text-Sound-Scheren, wenn er sich selbst wider besseres Wissen gut gelaunt zuruft: „The Best is yet to come“.

So ist „Triplicate“ auch ein länglich geratenes Statement zu seinem Lebensthema, die Zeiten und wie sie sich ändern: „Pledging My Time“, „Tomorrow Is A Long Time“, „Most Of The Time“, „Time Out Of Mind“, „Modern Times“, “Theme Time Radio Hour“, seine Radioshow.

„I was so much older then, I'm younger than that now“, singt Dylan 1964. 53 Jahre später erzählt er von seiner Begegnung mit Frank Sinatra, Kosename „Ol' Blue Eyes“. „Wir standen auf seiner Veranda und er sagte: ‚Du und ich, mein Freund, wir haben blaue Augen, wir kommen von da oben‘, und deutete hoch zu den Sternen. ‚All die anderen Penner, die sind von hier unten‘. Ich dachte, damit hat er vielleicht Recht.“ Der Einzige, der das dementieren könnte, ist schon lange da oben. Möge Dylan noch eine Weile hier unten bleiben, may you stay… Sinatra soll „Forever Young“ gemocht haben.

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11 Kommentare

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  • Kritik wäre einfacher gewesen durch Ablehnung des Preises.

     

    Auf mich wirkt Dylan inzwischen einfach schwer depressiv und nur noch mit einem mentalen Stützkorsett aufrecht gehalten. Was seiner musikalischen Bedeutung keinen Abbruch tut, aber er hätte diesen Preis entweder anständig annehmen oder ablehnen sollen, das ist so einfach nur peinlich, als wolle er den Preis zwar haben, aber es soll keiner sehen. Divenhaft wäre da noch geschmeichelt.

  • Tja, lieber Klaus Walter,

    ich habe mir im Oktober 2015 die Zeit genommen, mir das Konzert "Bob Dylan and his Band" im Berliner Tempodrom anzuschauen. Um es zusammen zu fassen: Das war musikalisch überwiegend einfach schlecht - verschiedene Stücke waren mit dieser Band nicht mal eingeübt, und es war befremdlich zu sehen, wie ihm manchmal jede Bewegung auf der Bühne schon allein körperlich schwerfällt.

    Dazu passt das Theater des Künstlers um die Preisverleihung in Stockholm. Und um es nochmal zusammen zu fassen: Das hätte er sich auf seine alten Tage schenken sollen. Ein wenig mehr Bescheidenheit für das, was ihm "die Penner da unten" zu seinen Lebzeiten noch bieten, würde ihm überhaupt nicht schaden. Leider hat er diese Größe nicht.

    • @Claudio:

      Zusammengefasst: Bob Dylan hat ein (nach Ihrem Empfinden) schlechtes Konzert gegeben und ist auch sichtbar nicht mehr der Jüngste. Deshalb stünde ihm „ein wenig mehr Bescheidenheit“ an.

      I beg to disagree.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Nachträglich, die besten Wünsche aus ehemals Vorderösterreich!!

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @61321 (Profil gelöscht):

      @ KKW natürlich

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @61321 (Profil gelöscht):

        Wassen ditte? (Copyright by L&O)

         

        "KKW natürlich"

         

        Gruß aus dem ehemaligen Königreich Württemberg.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Hallo Herr Klaus Walter,

     

    "April Fool" ist nichts anderes als ein Aprilscherz, also kein "Narr", wie Sie wiederholt übersetzten.

     

    Schönen Gruß

     

    Konold, Klaus Walter, geb. 1.4. 1947 (kein Scherz!)

    • @571 (Profil gelöscht):

      Alles Gute für Sie zum gestrigen Geburtstag - wünsche Gesundheit, Glück und ein gutes Leben :-)

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Pink:

        Grazie bella

    • @571 (Profil gelöscht):

      Wollten Sie es auf Intervention nicht mal endlich mit - Ernsthaftigkeit -

      Was immer das ist - Versuchen¿;)

      Ok. Der Versuch ist bereits strafbar -

      Da Verbrechen!

      Auch wahr - in Ernst.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Ich tu mich da

        scho emmer a bissle schwer.