: Mehr Leben durch die Toten
LETZTE RUHE Links Urnengräber, rechts Gottesdienst – wenn eine Kirche zum Kolumbarium wird
Vor der Kirchentür steht ein Aufsteller mit der Aufschrift: Kolumbarium Südstadt, geöffnet. Wer wissen will, was es damit auf sich hat, gelangt durch die große Tür und einen dunklen Vorraum in das langgestreckte Kirchenseitenschiff. Dort wird der Besucher von einer großen Jesus-Statue empfangen. Im Rauminneren befinden sich sechs große Schränke, immer zwei leicht versetzt nebeneinander. Jeder dieser Schränke bietet auf der Vorder- und Rückseite Platz für jeweils 56 Urnen. Von den insgesamt 672 Grabstätten sind etwa 25 belegt – eine Platte mit dem Namen und den Geburts- und Todesdatum ist an dem jeweiligen Fach angebracht.
Vor einigen Urnengräbern stehen Vasen mit frischen Blumen. Daneben stehen dunkle Holzhocker. Wer will, kann ein Teelicht anzünden und auf einem Tisch abstellen. Der Raum ist durch eine Glaswand vom Gottesdienstraum abgetrennt – sie wird nur zu besonderen Anlässen geöffnet.
„Das Seitenschiff unserer Nazarethkirche stand jahrelang leer. Wir haben dann überlegt, was wir damit anfangen wollen. Die Idee mit dem Kolumbarium setzte sich schnell durch. Seit Ende 2013 bieten wir diese besondere Grabstätte an“, sagt Dieter Henkel-Niebuhr, Pastor in der evangelisch-lutherischen Südstadt-Kirchengemeinde in Hannover.
Kolumbarium – der Name geht auf das lateinische Wort für Taubenschlag zurück. Wegen der optischen Ähnlichkeit wurden bereits altrömische Grabkammern mit reihenweise übereinander angebrachten Nischen zur Aufnahme von Urnen nach Feuerbestattungen so benannt.
„Wir hatten mit einem großen Erklärungsbedarf gerechnet, doch es gab kaum kritische Stimmen. Gerade ältere Menschen äußern sich positiv über das Kolumbarium“, sagt Henkel-Niebuhr.
Wer sich dort einen Platz reservieren lässt, will meistens ein Urnenfach mit Blickrichtung auf den Gottesdienstraum haben. „Dann krieg ich doch noch mit, wenn mal meine Enkelin heiratet“ – solche Sprüche bekommt der Pastor nicht selten zu hören. Neben der Verbundenheit mit diesem Ort, an dem man getauft und konfirmiert wurde, spielt ein weiteres Argument eine große Rolle: Viele Senioren wollen ihre Kinder nicht mit der Pflege des Grabes belasten. „Mit dem Kolumbarium reagieren wir auf den wachsenden Trend zu anonymen Feuerbestattungen und die Sorge, nach dem Tod den Angehörigen zur Last zu fallen“, sagt Henkel-Niebuhr.
Eine Kirchenmitgliedschaft ist nicht Bedingung, aber man muss getauft sein, um hier seine letzte Ruhestätte zu finden. 2.800 Euro kostet ein Platz für 20 Jahre, eine Verlängerung ist möglich. Danach werden die Urnen im Turm der 1907 erbauten Nazarethkirche beigesetzt. „Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar“ – mit dem Psalm 23 wirbt die Gemeinde für dieses Angebot. „Noch ist es eine kleine Minderheit in unserer Gemeinde, die hier beerdigt werden will, doch auch Menschen von weiter weg finden hier ihre letzte Ruhestätte“, sagt Henkel-Niebuhr.
Doch insgesamt gibt es immer weniger Gemeindemitglieder und Gottesdienstbesucher, nicht selten werden deshalb in Großstädten Kirchengebäude verkauft oder abgerissen. In der katholische Kirchengemeinde Heilige Familie in Osnabrück hatte man eine andere Idee. Die Zahl der fast 500 Plätze in der Kirche wurde in der 1960 erbauten Rundkirche nach einem Umbau im Jahre 2010 halbiert. Mehrere runde Wände mit Nischen wurden eingezogen, in denen 1.200 Menschen beigesetzt werden können – wenn sie Mitglieder einer christlichen Kirche sind.
Im Zentrum liegt der Raum für die Feier der Heiligen Messe, umgeben von den runden Urnengängen. Die Materialien unterstreichen die unterschiedliche Nutzung: Im Feierraum liegen glatte Steine, im Trauerraum raues Pflaster. Die Räume gehen ineinander über, Leben und Tod werden architektonisch nicht streng voneinander getrennt.
Hermann Haarmann, Pressesprecher des Bistums Osnabrück, berichtet von weiteren Kirchen, die wegen ihrer Größe in nächster Zeit in Kolumbarienkirchen umgewandelt werden sollen.
Nach Ansicht der Deutschen Bischofskonferenz müssen kirchliche Räume, in denen ein Kolumbarium geplant ist, zunächst entweiht werden, da es prinzipiell verboten ist, Bestattungen in katholischen Kirchen vorzunehmen – ursprünglich aus hygienischen Gründen und wegen der Überzeugung, dass man die Gnade Gottes nicht durch einen privilegierten Begräbnisort erwirken kann. In der Kirche der Heiligen Familie fand das allerdings nicht statt.
Was ändert sich, wenn Menschen in einer Kirche auf Gräber blicken? Gemeindediakon Harald Niermann sagt: „Seit wir uns mit dem Tod beschäftigen, ist hier viel mehr Leben“, und erzählt von einer jungen Frau, deren Worte ihm besonders in Erinnerung geblieben sind: „Ich kann zwar nicht beten, habe aber das Gefühl, dass hier ein Ort ist, an dem ich einfach sein kann.“ Joachim Göres
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