Faustpfand

Buchvorstellung Beziehung über Eck: „Österreich und die DDR 1949–1990“ von Maximilian Graf

Die Prozesse, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Zuge der Teilung Deutschlands sowohl auf diplomatischer als auch auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene vollzogen haben, scheinen ausgeleuchtet. Doch wie gestalteten sich eigentlich die Beziehungen zu dem seit 1955 als „neutral“ geltenden, von Besatzungsmächten unabhängigen Österreich? Bei einer Beschäftigung mit dieser Thematik erscheint auch die Rolle der BRD in einem veränderten Licht.

Der Historiker Maximilian Graf hat jahrelange intensive Nachforschungen betrieben, um die Beziehung Österreichs und der DDR zwischen 1949 und 1990 auszuleuchten. 14 Archive hat er durchkämmt, um an Informationen zu gelangen. Am Dienstag stellte er seine 626 Seiten starke Studie im Kulturforum der Österreichischen Botschaft vor und sprach anschließend mit dem Historiker Hermann Wentker und dem Zeitzeugen Friedrich Bauer.

Einen besonderen Fokus legte Graf zunächst auf die ca. 20.000 in der DDR wohnenden österreichischen StaatsbürgerInnen. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges dort lebend, waren sie automatisch zu DDR-StaatsbürgerInnen geworden und somit eine Ausreise schier unmöglich für sie.

Diese Menschen hätten, so Graf, für die DDR-Regierung eine Art „Faustpfand“ gegenüber Österreich dargestellt, um diplomatische Anerkennung zu erlangen – auf welche die DDR noch bis 1972 warten musste. Mit der drei Jahre später folgenden Anerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die DDR löste sich auch die Problematik der „gefangenen“ ÖsterreicherInnen, die Betroffenen erhielten einen doppelten Pass und konnten sich frei zwischen beiden Staaten bewegen.

Nachdem Österreich und die DDR nun also offiziell miteinander in Beziehung standen, sei Österreich erstaunlich schnell die Rolle eines „diplomatischen Eisbrechers“ für die DDR zugekommen, erläutert Graf den zweiten Schwerpunkt seiner Vorstellung. Auch die BRD habe den Umweg über Österreich genutzt, um ihre Anliegen an die DDR zu tragen.

Über diese Funktion hinaus hat Österreich entscheidend dazu beigetragen, mithilfe von Krediten die DDR vor einer Pleite zu bewahren – und das nicht nur aufgrund des Strebens der DDR nach internationalem Prestige, sondern vor allem auch aufgrund handfester innen- und wirtschaftspolitischer Interessen Österreichs. Das sieht Graf als zentrale Erkenntnis seiner Arbeit. Die insgesamt expandierende Wirtschaftsverflechtung Österreichs mit der DDR, zu der auch Ölgeschäfte zählten, mündete schließlich in die von milliardenschweren Verlusten gekennzeichnete Krise Mitte der 1980er-Jahre.

Bauer eröffnete das Gespräch, indem er die Anerkennung der DDR durch Österreich als „gewaltige politische Leistung“ hervorhob, denn schließlich sei dies gegen den Widerstand der BRD geschehen. Die BRD selbst habe gegenüber der DDR einfach kein nationales Interesse gehabt, sondern permanent ihre humanitären Anliegen vorgetragen.

Auf die Frage aus dem Publikum, ob es nicht auch ÖsterreicherInnen gegeben habe, die in der DDR bleiben wollten, korrigierte sich Graf, die 20.000 seien nur die, die auch mit der österreichischen Vertretung in Kontakt getreten seien: „Es gab um 1955, als die KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs) massiv an Einfluss verloren hatte, sogar eine Auswanderungsbewegung Kulturschaffender aus Österreich in die DDR.“

Das Schlusswort der Veranstaltung gehörte Wentker: „Im Grunde herrschte zwischen allen beteiligten Staaten doch Interessenkongruenz. Alle wollten ihre Waren loswerden und ihre Stellung wahren. Sie waren eben nur ideologisch gekränkt.“

Annika Glunz

Maximilian Graf: „Österreich und die DDR 1949–1990. Politik und Wirtschaft im Schatten der deutschen Teilung“, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 206, 656 Seiten, 79 Euro