heute in Bremen
: „Von deutschen Gnaden“

Antifaschismus Gegen den Veteranentag der lettischen Waffen-SS demonstrieren auch Bremer

Raimund Gaebelein

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69, Historiker und Philosoph, Landesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen.

taz: Herr Gaebelein, Sie protestieren morgen gegen den lettischen „Tag der Legionäre“. Was ist das?

Raimund Gaebelein: Eine Traditionsveranstaltung lettischer Waffen-SS-Leute. Seit der Unabhängigkeit Anfang der 1990er-Jahre versuchen die verstärkt, sich als Freiheitskämpfer zu titulieren. Das ist der Versuch, einerseits nationalistische Momente zu verstärken und dabei die Leute kaltzustellen, die in der Sowjetzeit vermeintlich oder tatsächlich das Sagen hatten: die russische Minderheit in Lettland – und die Juden.

Die letzten überlebenden SS-Veteranen sind aber doch schon uralt. Ist das ein Rentnermarsch?

Die haben schon neue Generationen nachgezogen. Außerdem erfährt die Bewegung breite Unterstützung des Staats.

Wie sieht die aus?

Es wird ihnen sozialer und politischer Raum zur Verfügung gestellt, es gibt Förderung, Gegenproteste werden massiv unter Druck gesetzt, behindert oder ganz verboten. Internationale Unterstützer, werden festgenommen, in Busse gesteckt und erst an der Grenze wieder rausgelassen.

Was passiert in Bremen?

Wir gehen zum lettischen Honorarkonsul und zeigen Bilder der Kriegsverbrechen dieser lettischen SS-Verbände. Wir wollen dann einen Brief übergeben, in dem wir ihn auffordern, sich mit uns an die lettische Regierung zu wenden, dass sie ihre Haltung gegenüber den „Legionären“ ändert. Bremen ist da ja auch in einer besonderen Position.

Wieso das?

Die Bürgerschaft hat hier erst vergleichsweise spät aufgehört, Renten an die SS-Veteranen zu zahlen. Es gab immer auch personelle Verbindungen ins konservative Milieu: Der frühere Bild-Redakteur Siegerist trat Anfang der 90er bei den Bürgermeisterwahlen in Riga an. Es ist jedenfalls wichtig zu verhindern, dass die Kriegsverbrecher sich heute als Freiheitskämpfer stilisieren.

Verbreitet ist ja auch diese Lesart: Die Letten werden von Hitler an die Sowjetunion verschachert, dann von Deutschland vermeintlich befreit, in die SS zwangsrekrutiert – und dann verbietet man ihnen auch noch das Gedenken an ihre Toten.

Es sind nicht irgendwelche Soldaten, um die es da geht.

Sondern?

Sie haben 1942 lettische Juden zur Ostsee getrieben und ermordet. Lettland sollte als Erstes „judenfrei“ sein. Das waren nicht unschuldige Letten, die unter deutschen Befehl gezwungen wurden. Man sah sich als Himmlers Elite von deutschen Gnaden: Als die Verbände aufgestellt wurden, hatten einige ihrer Mitglieder die Hälfte der lettischen Jüdinnen und Juden schon längst ermordet.

Interview Jan-Paul Koopmann

Protestkundgebung: 10.30 Uhr, Lettisches Honorarkonsulat, Allerkai 4