Sekt und Thesen

Zuhören Am Montag eröffnete „Literatur: Berlin“ – das Lesungsfestival geht bis zum 31. März

Der Winter ist ja traditionell die Zeit des „Mit einem guten Buch auf dem Sofa“-Liegens. Wenn er sich aber dem Ende zuneigt, kann einem schon mal öde werden in den häuslichen Polstern. Gut hat es da im März, wer in Prenzlauer Berg wohnt und nicht so weit durch den noch kühlen Vorfrühlingsregen laufen muss, um den nächsten Austragungsort des Festivals „Literatur: Berlin“ zu erreichen, das am Montagabend mit einer Lesung im Maschinenhaus der Kulturbrauerei eröffnet wurde.

Über alles lachen

„Vertreter aus Kultur und Gesellschaft“, so war geheimnisvoll angekündigt worden, sollten aus dem Buch „95 Anschläge – Thesen für die Zukunft“ lesen, das gerade bei S. Fischer erschienen ist und ein buntes Konglomerat von Texten versammelt, in denen SchriftstellerInnen und andere sich Gedanken darüber machen, wie man aus der Welt einen besseren Ort machen könnte. Zu den Lesenden des Montagabends gehören Judith Hermann, Thomas Roth und Marion Brasch. Hermann liest einen Thesen suchenden Essay über die These an sich, Roth unter anderem einen Text von Sibylle Lewitscharoff, in dem die Autorin einerseits Nächstenliebe, aber andererseits auch fordert, kriminell gewordene Ausländer pronto zurückzuschicken, „selbst in Länder, in denen drakonische Strafen drohen“. Die Leute beklatschen an diesem Abend aber eh alles. (Es gab vorab ja auch Sekt umsonst.)

Marion Brasch ist ohne Brille gekommen, stolpert charmant über schwierig zu entziffernde Wörter und liest zum Schluss den schönsten Text von allen vor. Der stammt von dem Schauspieler Edgar Selge und beschwört mit warmen Worten die kreative Kraft der Passivität.

Insgesamt ist es ein anregender Abend und ein neugierig machender Einstieg in den Literaturmonat. Bis zum 31. März lassen sich nun also in Prenzlauer Berg beinahe täglich teilweise sehr hochkarätig besetzte Lesungen erleben. Heute Abend etwa liest Beatrix Langner aus ihrem Buch „Die 7 größten Irrtümer über Frauen, die denken“ im Georg Büchner Buchladen, einem der insgesamt vier Veranstaltungsorte. Morgen zieht dann etwas internationaler Glamour ein, wenn die finnische Autorin Katja Kettu, mit Anna Thalbach als deutscher Stimme, im Palais der Kulturbrauerei aus ihrem neuen Roman, „Feuerherz“, liest. Die aus Lappland stammende Autorin gehört zu den interessantesten Stimmen der jungen finnischen Literatur und machte hierzulande bereits mit ihrem ersten Roman, „Wildauge“, viel von sich reden. Ein weiterer Höhepunkt in puncto internationale Literatur ist bereits nächsten Mittwoch erreicht, wenn die junge amerikanisch-kamerunische Autorin Imbolo Mbue am selben Ort wie zuvor Kettu – und ähnlich wie diese mit ihrem ersten Roman zum Shooting-Star geworden – ihren Roman „Das geträumte Land“ vorstellt. Dieser erzählt eine amerikanische Einwanderungs-Multikulti-Familiengeschichte in Harlem vor dem Hintergrund der Bankenkrise.

Rios Tagebuch

Zahlreiche Veranstaltungen, die hier nicht alle aufgezählt werden können, widmen sich aber auch der deutschen Gegenwartsliteratur, die wie bisher schon immer – denn dieses Jahr findet das Festival schon zum dritten Mal statt – einen gewichtigen Programmschwerpunkt darstellt. Auch wird im Rahmen des Festivals wieder der Literaturpreis Prenzlauer Berg verliehen. Und sogar für Lesungsmuffel hat man etwas im Angebot: Rio Reiser mag zwar tot sein, doch sein Bruder Gert Möbius lebt und hat ein Buch geschrieben, das nicht anders heißen kann als „Halt dich an deiner Liebe fest. Rio Reiser“. Zur Lesung und Buchvorstellung am 23. März im Maschinenhaus der Kulturbrauerei gibt es selbstverständlich ordentlich Musik von – und mit leibhaftigen Mitgliedern – der Ton Steine Scherben.

Katharina Granzin

Programmdetails finden Sie

unter www.literatur.berlin