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In bürgerlichen Haushalten wieder groß im Kommen: Hauspersonal, das unter anderem den Altbaufußboden pflegt Foto: Foto:Ralf Hischberger/dpa

„Die Rückkehr der dienenden Klassen“

HaushaltshilfenChristoph Bartmann, Leiter des Goethe-Instituts Warschau, warnt vor den Folgen, wenn mehr und mehr Aufgaben an Pizzakuriere, Hundesitter und Putzkräfte delegiert werden

von Kaija Kutter

taz: Herr Bartmann, in Ihrem Buch „Die Rückkehr der Diener“ sagen Sie, die Diener sind wieder da – nicht als Butler oder Kammerzofe, sondern in neuer Gestalt. Auch bei uns?

Christoph Bartmann: Es gibt Teile der Welt, etwa feudalistische Gesellschaften in der Golfregion, da hat es das Dienertum immer gegeben. Bei uns dagegen findet eine Rückkehr der dienenden Klassen statt, vor allem im eigenen Haushalt. Das kommt aus den USA zu uns rüber. Wir greifen nicht mal mehr zum Telefon, um eine Pizza zu bestellen, wir wischen und klicken einfach per App, und schon kommt das gewünschte Essen ins Haus. Oder Putzdienste auf Portalen, die dann in unserer Abwesenheit scheinbar von Heinzelmännchen erledigt werden. Man lernt die Personen, die unser Haus putzen, dann nicht mal mehr persönlich kennen.

Sind Diener nicht in nordeuropäischen Ländern fast verschwunden?

Stimmt. Schweden zum Beispiel hatte 1968 knapp 70.000 Haushaltsangestellte und 1990 nur noch zwei. Und in den Niederlanden gehört es zum Selbstverständnis einer emanzipierten Frau, das sie ihre Fenster selber putzt. Auch in Deutschland gab es diesen Rückgang. Aber die Zahlen sind hier undurchsichtig. Laut einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gab es in 2013 mindestens 712.000 Hausarbeiterinnen, angemeldet waren davon laut DGB nur 250.000. Es soll vier Millionen Haushalte geben, die Hausangestellte beschäftigen, davon 2,6 Millionen regelmäßig.

Sie beschreiben in dem Buch Ihren Alltag in Manhattan, wo den Bewohnern eines Comfort-Wohnblocks quasi alles vom Personal abgenommen wird, vom Hundesitten bis zum Bettlakenwechsel.

Ja. Man lebt in Manhattan als Kunde in einer Art „Serviceparadies“. Man kann dort auf diversen Online-Plattformen alle denkbaren Haushaltsdienste buchen. Es gibt dort zwar auch einen Mindestlohn, aber der wird meistens unterschritten. Es gibt ein Überangebot an billigen Arbeitskräften aus dem Süden, die, die Trump jetzt offenbar loswerden will.

Sie formulieren Bedenken. Die Ethikbilanz des per Mausklick bestellten Thai-Menüs sei fragwürdig. Wo liegt die Grenze?

Ich beschreibe ein Unbehagen. Es geht zum einen um Ausbeutung und schlechte Bezahlung dieser Menschen, die uns umsorgen. Aber auch ich als Umsorgter fühlte mich nicht wohl. Man verliert die eigene Souveränität über den Haushalt, wenn ein anderer die Wohnung aufräumt.

Sollte jeder seinen eigenen Dreck selber weg machen?

Menschen, die bedürftig sind, brauchen Unterstützung im Haushalt. Aber hier gibt es das Angebot einer neuen Bequemlichkeit, eine Art Mühelosigkeits-Verheißung durch neue Apps und Servicedienste. Der Haushalt macht dir keine Mühe. Das bereitet mir Unbehagen.Wie gesagt, ich bestimme dann nicht mehr selbst über mein Haus. Und ich trage zur Vermehrung dieses neuen Dienstbotenwesens bei. Wenn man sich das klar macht, ist es so wenig zu akzeptieren wie für Vegetarier der Fleischkonsum

Was ist mit Müttern, die arbeiten. Brauchen die keine Putzkraft?

Das wurde mir gelegentlich vorgeworfen: dass ich die Doppelbelastung von Frauen nicht ernst nehme.

Ja, und der Tag hat ja nur 24 Stunden. Und Hausarbeit ist auch schlicht Arbeit.

Man müsste die Männer mehr in die Pflicht nehmen, dass die mehr im Haushalt tun. Ich habe ganz gerne samstags den Staubsauger in die Hand genommen. Das Putzen ist doch eine überraschend befriedigende Tätigkeit. Außerdem haben sich hier auch die Ansprüche verschoben. Es ist für meine hausfrauliche oder hausmännliche Identität nicht mehr so wichtig, dass in einem Haushalt kein Staubkrümel herumliegt und die Fenster blitzblank sind. Wichtiger ist etwa gesundes, frisch gekochtes Essen.

Wegen des technischen Fortschritts verschwinden Jobs in Industrie und Landwirtschaft. Ist es nicht logisch, dass der Dienstleistungsbereich wächst?

Richtig, deswegen ist es enttäuschend, dass so viele Menschen in den einfachen Dienstleistungen festhängen. Von der Errungenschaft des Dienstleistungssektors versprach man sich die Befreiung der Menschheit. Vom Blue Collar zum White Collar. Aber diese Erwartung ist so nicht eingetreten. Es gibt bei uns das Heer der einfachen Dienstleister, etwa zwölf bis 15 Prozent der Beschäftigten. Die sind nicht nur im häuslichen Bereich zu finden, sondern auch im Wach- und Sicherheitsdienst, im Supermarkt, bei Tankstellen und Paket- und Lieferdiensten. Heute wird bekanntlich alles von Boten ins Haus geliefert.

Postboten gab es schon immer.

Christoph Bartmann

Foto: Hanser Verlag

61, studierte Germanistik und Geschichte und leitete von 2011 bis 2016 das Goethe-Institut New York, heute das Goethe-Institut Warschau. Bartmann diskutiert am 21. März mit der Journalistin Julia Friedrichs und dem Soziologen Oliver Nachtwey auf Einladung des NDR und der Zeit- Stiftung über die Frage „Gesellschaft der Abstiegsangst oder der Chancen?“ um 20 Uhr im Bucerius-Kunst-Forum Hamburg.

Ja. Postbeamte waren mal Teil des mittleren oder gehobenen Dienstes. Das war vor der Privatisierung der Bundespost.

In Deutschland und auch international gibt es den Trend zu höheren Bildungsabschlüssen. Wie passt das zur Rückkehr der Diener?

Ich denke, mittelfristig spricht die Demografie nicht für noch mehr Menschen in einfachen Dienstleistungsjobs. Es werden weniger Arbeitskräfte aus osteuropäischen Staaten zu uns kommen. Aber es wird immer Regionen geben, aus denen die Menschen nach Deutschland kommen, um hier für wenig Geld zu arbeiten.

Wie sähe Ihre Utopie aus.

Es würde für viel mehr Menschen sinnvolle und anspruchsvolle Beschäftigungsmöglichkeiten geben.

Gäbe es dann gar keine Putzfrauen mehr?

Es gibt bestimmt Lebenslagen, in denen es ohne externe Hilfe nicht geht. Aber man sollte seine Hilfskräfte wenigstens kennenlernen und ab und zu auch über deren Work-Life-Balance nachdenken.