Nicht einmal Lust auf Reden

Afghanistan Nach einem Taliban-Anschlag in Pakistan kriselt die Beziehung zu Afghanistan. Die Länder beschuldigen sich gegenseitig, Terroristen zu beherbergen. Ein Verhandlungsversuch scheiterte

Anlass der Krise: Blutspuren in Sehwan, wo bei einem Anschlag 72 Menschen starben Foto: Akhtar Soomro/reuters

aus Kabul Thomas Ruttig

Pakistans Versuch, die derzeit angespannte Beziehung zum Nachbarland Afghanistan bei einem Wirtschaftsgipfel zu verbessern, ist gescheitert. Nach einem islamistischen Anschlag in Pakistan mit 72 Toten hat das bilaterale Verhältnis zwischen den beiden Nachbarländern einen erneuten Tiefpunkt erreicht. Pakistans Regierung behauptet, die Anschläge seien von afghanischer Seite organisiert worden, schloss die Grenze und beschoss die afghanische Seite. Dabei starben zwei Kinder.

Beim Gipfel der zentral- und südasiatischen Staatenorganisation Economic Cooperation Organisation (ECO) am Mittwoch strebte die pakistanische Seite Verhandlungen über ein gemeinsames Vorgehen gegen Terrorismus an. Doch Afghanistan erteilte dem eine Abfuhr. Zum ECO-Gipfel reiste Staatspräsident Aschraf Ghani gar nicht erst an und Außenminister Salahuddin Rabbani blieb dem Vortreffen seiner ECO-Amtskollegen fern. Stattdessen saß Kabuls Botschafter in beiden Meetings. Viel näher an einen Boykott kann man nicht kommen.

Unmittelbarer Auslöser der derzeitigen Krise war der blutige Anschlag auf den Sufi-Schrein von Sehwan in Pakistan am 16. Februar mit 72 Toten, für den der regionale Ableger des Islamischen Staates (IS), genannt IS Chorasan-Provinz, die Verantwortung übernahm. Sechs weitere Anschläge folgten innerhalb weniger Tage. Afrasiab Chattak, früherer Chef der Menschenrechtskommission, schrieb von der „blutigsten ­Woche in der Geschichte Pakistans“.

Darauf folgte die Eskalation Pakistans: Die Regierung schloss die Grenze und ließ angebliche Schlupfwinkel des IS und der Pakistanischen Talibanbewegung (TTP) beschießen. Getroffen wurden afghanische Dörfer und auch die Schule, in der die Kinder starben. Zudem legte die pakistanische Regierung Afghanistan eine Liste mit den Namen von 76 Führern militanter Gruppen vor, deren Verhaftung und Auslieferung man verlangt. Afghanistan revanchierte sich mit einer Liste von 85 Taliban-Führern und 32 terroristischen Trainingscamps, die sich in Pakistan befinden sollen.

Pakistan schloss die Grenze und ­beschoss die ­afghanische Seite. Dabei starben zwei Kinder

Am Donnerstag beschloss Pakistan nun Reformen zur Verwaltung der umstrittenen, bisher direkt der Zentralregierung unterstehenden sogenannten Stammesgebiete entlang der afghanischen Grenze. Die sieben „Stammesgebiete unter Bundesverwaltung“ (Fata) sollen ab 2021 offiziell Teil der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa werden. Dem Gesetzesentwurf muss noch das Parlament zustimmen.

Dies könnte die Spannungen mit Afghanistan weiter verschärfen. Kabul betrachtet die Fata- sowie weitere von Paschtunen und Belutschen besiedelten Gebiete als unrechtmäßig abgetrennte afghanische Territorien und erkennt den Grenzverlauf dort nicht an.

Wegen der umstrittenen Grenze, die auf die britische Kolonialzeit zurückgeht, sitzen die gegenseitigen Animositäten zwischen Afghanistan und Pakistan tief. Seit der Staatsgründung Pakistans 1947 haben beide Seiten immer wieder militante, zum Teil separatistische Bewegungen im jeweiligen Nachbarland unterstützt.

Heute operieren Teile der pakistanischen Taliban in unkontrollierbaren Gebieten Ostafghanistans. Einige arbeiten mit dem örtlichen IS-Ableger zusammen. Unstrittig ist auch, dass sich Mitglieder des Führungsrats der afghanischen Taliban wiederum in Pakistan aufhalten – nach einer dortigen Großstadt ist das Gremium als Quetta-Schura bekannt.

Ebenso unstrittig, obwohl von Pakistan stets dementiert, ist, dass zumindest Teile des pakistanischen Militärs die afghanischen Taliban unterstützen. Zusätzlich gibt es derzeit pakistanische Massenabschiebungen und eine sogenannte freiwillige Rückkehr afghanischer Flüchtlinge. Seit Anfang 2016 wurden fast 630.000 Menschen nach Afghanistan geschoben.

Aus Angst vor Anschlägen wurde für Islamabad auch der Tag des ECO-Gipfels zum Feiertag erklärt. Geknallt hat es am Mittwoch aber in Kabul, wo bei mehreren Taliban-Anschägen 23 Menschen starben und mehr als hundert Menschen verletzt wurden.