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Auf Zeitreise durchs wilde Neukölln

LESEFEST Heute startet „Rudow liest“. Autoren lesen aus ihren Romanen an teils ungewöhnlichen Orten

Die Suche nach der Haltebucht am Busbahnhof. Der Kampf um den besten Sitzplatz. Ein Fahrer, der den Bordstein rammt. Eine Drogenrazzia. Eine Haltestelle im Nirgendwo. Ein Sitznachbar, der an der Raststätte vergessen wurde. Eine Toilette, die verstopft ist. Ein Baby, das unaufhörlich schreit. Die eigenen Beine, die nach vielen Stunden Sitzen kribbeln. Endlose Staus. Ein verschwundener Koffer. Solche und ähnliche Abenteuer geschehen auf einer Fernbusreise.

Von ähnlichen Erfahrungen erzählt Sina Pousset in „‚Keine Ahnung, wo wir hier gerade sind‘. Mit dem Fernbus unterwegs“, das sie am Samstag im Rahmen des dreitägigen Festivals „Rudow liest“ vorstellen wird. Von heute bis Sonntag sind insgesamt 13 Autor*innen aufgeboten. Der Eintritt ist frei, für manche Veranstaltung ist allerdings eine Reservierung erwünscht. Das Programm hört sich vielversprechend an. Eine Busfahrt könnte sinnbildlich als das geheime Motto für das Lesefest stehen. Bei allen Büchern, die vorgestellt werden, geht es nämlich im weitesten Sinn um eine Reise oder Suche. Die Geschichten bewegen sich nah am alltäglichen Leben. Viele davon sind in Berlin verortet.

Höhepunkt des Festivals ist der Auftritt von Kathrin Schmidt. Die Berliner Schriftstellerin, 2009 ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis, liest am Samstag aus ihrem neuen Werk „Kapoks Schwestern“. Darin geht es um einen ehemaligen Professor für Marxismus, der 2014 in Berlin-Treptow nach mehreren Jahrzehnten seine beiden Jugendlieben, zwei jüdische Schwestern, wieder trifft. Mit den Schwestern begebe sich die Autorin auf hundertjährige Zeitreise, so taz-Rezensentin Katrin Bettina Müller. Das Buch thematisiert die Familiengeschichte vom Ersten Weltkrieg über den Nationalsozialismus, die DDR-Zeit bis zur Gegenwart.

„Rudow liest“ entstand auf Initiative der Aktionsgemeinschaft Rudower Geschäftsleute. Der Buchhändler Heinz Jürgen Ostermann hatte die Idee für das Lesefestival, das inzwischen zum sechsten Mal stattfindet. Eigentlich gäbe es kein richtiges Motto, entgegnet er auf Nachfrage. Vielmehr hätten sie nach Büchern gesucht, die zu den teils ungewöhnlichen Leseorten passen. Einige Mitglieder stellen ihre Fachgeschäfte zur Verfügung. Zudem beteiligen sich Institutionen wie die Stadtbibliothek, der Kulturstadtrat und diverse Kirchen am Festival. „Es passt allerdings nicht immer hundertprozentig“, sagt Ostermann.

Für ein Hörgerätegeschäft hätten sie etwa ein Buch ausgewählt, das auch ältere Menschen interessieren könnte. Hannah Dübgen liest dort am Samstag aus „Über Land“: Der Roman handelt von der Suche nach sich selbst und das Leben in der Fremde. Konkret geht es um die Freundschaft zwischen Clara, einer jungen Ärztin, und Amal, einer Studentin, die aus dem Irak geflohen ist und in Deutschland Asyl beantragt hat. Sie lernen sich 2013 bei einem Fahrradunfall in Berlin kennen. Als Amals Großmutter stirbt, reist Clara an Amals Stelle nach Bagdad.

Das Lesefest ist geeignet für die ganze Familie. Zwei Lesungen werden für Kinder angeboten. Um eine unfreiwillige Reise durch die Zeit und der Suche nach einer neuen Heimat geht es im Kinderbuch von Michael Petrowitz. „Das wilde Uff sucht ein Zuhause“ ist eine witzige Geschichte, die ein wenig an „Urmel aus dem Eis“ erinnert. Ein Junge namens Lio entdeckt ein wuschliges, freches Urzeitwesen, das sprechen kann. Eigentlich hat es sich vor Millionen Jahren nur zu einem Nickerchen hingelegt, ist aber erst neulich wieder aufgewacht. Mit einem Lagerfeuer in der Küche und Höhlenmalereien in der Schulaula wühlt es den Alltag von Lios Familie auf. Während Lio sich über das neue Familienmitglied freut, lüstern andere nach einer Sensation. Julika Bickel

3. bis 5. März: Rudow liest!,

Mehr Infos unter :

www.hier-in-rudow.de

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