IN DER KANTINE: Kultur, wa?
Mittags in Mitte lohnt sich ein Besuch bei der taz. Man kriegt den neuesten Klatsch serviert, eine warme Mahlzeit und man lernt die Menschen hinter den Buchstaben kennen. „L., was machst du denn hier?“, sagt U. Er sitzt am Tisch mit einem Großen und einem Dunkelhaarigen und wartet aufs Essen. Es gibt Nudeln mit Fisch und rote Grütze. Von wegen brotlose Kunst. „Ich wollte zu D. und fragen, wann er meinen Zombietext druckt“, sage ich und setze mich dazu, „er reagiert seit Wochen auf keine E-Mail.“
„Ruf ihn doch an“, sagt der Dunkelhaarige. „Nee, ich trau mich nicht“, sage ich. „Ist doch Zeitung und voll der Stress. Wenn ich da noch anrufe, darf ich gar nichts mehr schreiben.“ „Nobel von dir!“, sagt der Dunkelhaarige und stellt sich vor: „Ich bin J.“ „L.“, sage ich. „J. schreibt über Windmühlen“, sagt U. – „Windmühlen?“ Ich gucke J. bewundernd an. Ein Don Quichotte, ein echter! „Manchmal schreib ich auch über Strahlenbomben“, sagt J. „Strahlenbomben!?“, sage ich und merke, dass ich schon zum zweiten Mal das Schlusswort meines Vorredners wiederhole. Macht keinen besonders hellen Eindruck. Der Kellner auch nicht. Er will die rote Grütze servieren, dabei warten wir auf den Fisch.
J. erzählt: „Bei mir ruft immer so ein Typ an, der war früher Atomkraftgegner. Deswegen schießt die CIA jetzt mit Strahlenbomben auf ihn. Sagt er.“ „Solche kenn ich auch“, sagt der Große. Er spreizt Daumen und kleinen Finger seiner rechten Hand ab, als hielte er einen Telefonhörer: „Hallo Sie? Ist da die taz? Hier Otto Soundso. Gestern vorm Penny war wieder so’n schwarzer BMW. Fast hätta mich totgefahren. Sie müssen da was machen!“ Ich verschlucke mich am Mineralwasser. „Über so was schreib ich nur“, huste ich. „Ich dachte, du schreibst über Zombies“, sagt J. „Ja“, sage ich, „aber meistens schreib ich Szenen über Fahrradunfälle.“ J. grinst: „Kultur, wa?“ Ich nicke, U. lacht. Der Fisch kommt. LEA STREISAND
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