piwik no script img

Hyänenmänner, Lesben und südafrikanische Kin

Ausstellung Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt die Fotografie des Südafrikaners Pieter Hugo. Sie wirft ein Schlaglicht auf die autonome Bildproduktion Afrikas, jenseits von Folklore-Fotos und Bildern von Katastrophen

Bildgewaltig: Fotografien des Südafrikaners Pieter Hugo – oben im Selbstportrait mit Sohn Jakob Foto: Fotos (3): Pieter Hugo/Priska Pasquer

Aus WolfsburgBettina Maria Brosowsky

Sehr viel weiß man hierzulande nicht über die Fotografie in Afrika. Jeder kennt wohl historische Aufnahmen in ethnografischen Sammlungen, heute meist als Problem kolonialer Sichtweisen identifiziert. 2010 zeigte das Museum für Photographie in Braunschweig die optimistischen Schwarz-Weiß-Porträts von Malick Sidibé aus Bamako, aufgenommen im improvisierten Studio während der frühen Jahre der Unabhängigkeit Malis nach 1960. Im letzten Herbst widmete sich dann das Periodikum Fotogeschichte der Fotografie in Afrika – ein Indiz somit für ein längst überfälliges Untersuchungsgebiet.

Zwischen Folklore und Hungerbildern

Das mediale Bild Afrikas ist stark bestimmt durch die tagtägliche Flut der Pressefotos: von Hunger- und Umweltkatastrophen, zu korrupten politischen Systemen mitsamt militärischen und ethnischen Konflikten oder grauenvollen Genoziden. Und manchmal ist ja auch Verteidigungsministerin von der Leyen auf Mission unterwegs abgelichtet. Diese Fotos entstammen meist internationalen Bildagenturen, zeigen partielle Afrika-Impressionen, irgendwo zwischen bunter Folklore und von der Öffentlichkeit vergessenen Weltgegenden.

Aber selbstverständlich leben und praktizieren zeitgenössische Fotografen in Afrika. Woran arbeiten sie, wie empfinden sie ihr eigenes Land, ihren Kontinent? Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt derzeit mit rund 250 Aufnahmen, gruppiert in 16 Serien, einen Werksquerschnitt des Südafrikaners Pieter Hugo: ein bildgewaltiger, technisch gleichermaßen vielseitiger wie perfekter Fotograf. Diese erste institutionelle Ausstellung wirft so zumindest einmal ein Schlaglicht auf die autonome Bildproduktion Afrikas.

Ganz unbekannt ist das Werk des 1976 in Johannesburg geborenen Pieter Hugo in Wolfsburg nicht, 2013 war er bereits in der Ausstellung „Kunst & Textil“ mit einer Fotografie aus seiner Serie „Permanent Error“ vertreten. Sie zeigte einen Afrikaner, ein Knäuel Elektrokabel, fast wie edlen Schmuck, auf dem Kopf balancierend. Nun, zur Bildfolge erweitert, erkennt man Ort und Geschehen: ein hochgefährlich verseuchter, wohl halblegaler Recyclingplatz für weltweiten Elektronikschrott in Accra, der Hauptstadt Ghanas. Mit bloßen Händen und an kleinen Feuerstellen versuchen dort die meist zugewanderten jungen Männer, wertvolle Rohstoffe aus zerlegten Geräten zu isolieren, um sie auf einem lokalen Spezialmarkt zu verkaufen.

Mit wachem Blickauf die Schrecken

Hugo hat einzelne Personen um Porträts gebeten, sie aus der Masse herausgelöst und respektvoll platziert, die Bildnisse mit ihren Namen betitelt. Zweimal sei er dort gewesen, 2009 und ein Jahr später, erzählt Hugo, jeweils für zwei Wochen. Das sei eine Zeitspanne, in der sein Blick wach bleibe, sich nicht an die Schrecken eines Ortes gewöhne. Beim zweiten Aufenthalt habe er die Protagonisten des Vorjahres nicht mehr wiedergetroffen und mittlerweile sei der Recyclingmarkt wohl anderswohin weitergezogen.

Pieter Hugo kommt aus dem Fotojournalismus und arbeitet auftragsbezogen, daneben verfolgt er freie Projekte, meist über lange Jahre anlegt. Als Bildgattung ist es immer das Porträt, erweitert allerdings um Einblicke in die Lebenssituation der jeweiligen Menschen. Er sieht sich nicht als Dokumentarfotograf, erst recht nicht mit ethnografischer Intention, auch weist er vorschnelle psychologische Deutungen seiner Bildmotive entschieden zurück.

Am komplexesten zeigt sich seine offene, erzählerisch assoziative Arbeitsweise vielleicht im Konvolut „Kin“, zwischen 2006 und 2013 entstanden, das im Zentrum der Ausstellung steht. „Kin“ ist im Englischen der etwas altmodische Begriff für Sippe oder die nächste Verwandtschaft, aber auch ein geläufiger Terminus der Ethnografie. Hugo sieht seinen familiären Nukleus als Teil der großen Schicksalsgemeinschaft Südafrika, dieses durch Kolonialismus und Apartheid zerrissene und verrohte Land. Neben Porträts seiner Eltern, seiner schwangeren Ehefrau oder der Großmutter stellt er stolze, elegante schwarze Frauen, etwa die langjährige Haushaltshilfe, oder ein schwarz-weißes Paar, wie selbstverständlich nackt am Sandstrand posierend.

Bilder einer brutal segregierte Gesellschaft

Zwei Luftfotos holen dann die Realität der brutal segregierten Gesellschaft ins Bewusstsein zurück: die Villen der reichen Weißen mit üppig begrünten Straßen und Pool im Garten. Und nur wenige Kilometer entfernt armselige Hütten unterprivilegierter Schwarzer: kaum schattiges Grün, die Sandwege durchzogen von offenen Rinnsalen aus Müll und Schmutzwasser. Wie zieht man in einer derart konfliktbeladenen Gesellschaft Kinder groß, fragt sich Pieter Hugo seit er selber Vater ist.

Aber es ist kein Bild, das in seiner Depression aufrütteln will, das Hugo von Afrika zeichnet. Vielmehr möchte er den unzähligen Facetten des Kontinents menschliche Gesichter geben. In Nigeria etwa verfolgte er die Hyänenmänner, wandernde Schausteller mit wilden Tieren, die ihm selbstbewusst sagten, wie sie fotografiert werden wollten. Als Kunstgriff seiner Bildhoheit dämpfte er anschließend die Farbigkeit, nahm den Machos ihre individuelle Inszenierung. Ebenfalls in Nigeria blüht die weltweit drittgrößte Filmindustrie mit skurrilen schauspielerischen Angeboten, ihnen galt die Serie „Nollywood“. Auch LGBT-Szenen machte Pieter Hugo dingfest, in Afrika wie auch während eines Stipendiums in Peking.

Und deshalb scheut er auch nicht davor zurück, den Wolfsburger Ausstellungsparcours mit einem Selbstporträt enden zu lassen: perfekt geschminkt, mit rotblonder Frauenperücke, die afrikanische Persiflage einer Conchita Wurst.

Ausstellung „Pieter Hugo. Between the Devil and the Deep Blue Sea“: bis zum 23. Juli im Kunstmuseum Wolfsburg, Hollerplatz 1, Wolfsburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen