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True-Crime-Doku im NDRChopin hinter Gittern

Für „7 Tage … mit einem Mörder“ war eine NDR-Reporterin zu Besuch im Knast. Ein verurteilter Mörder erzählt von seinem Leben.

Was alles verkehrt lief in Robert W.s Leben, kann ein halbstündiger Film kaum rekapitulieren Foto: NDR

Robert W. blickt versonnen. Das ist nicht ungewöhnlich, wenn man eine Nocturne von Chopin spielt. Was aber doch besonders ist: W.s E-Piano steht in einer Gefängniszelle. Der 36-Jährige sitzt seit zehn Jahren in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg, weil er seine 46-jährige Nachbarin erdrosselt hat. Vermutlich wird er in fünf Jahren frei kommen. Jetzt aber ist er erst einmal die Hauptfigur des NDR-Dokuformats “7 Tage … mit einem Mörder“.

Die Suche nach einem Protagonisten war für den Sender äußerst schwierig. Die angefragten Justizvollzugsanstalten antworteten in der Regel, so ein Film sei mit Blick auf die spätere Resozialisierung nicht hilfreich, künftige Nachbarn könnten die im Fernsehen interviewten Tätern später wiedererkennen. Die JVA Oldenburg, in der Robert W. einsitzt, vertritt eine andere Position. Ihrer Meinung nach kann es sinnvoll sein, Straftäter erzählen zu lassen, warum sie eine zweite Chance verdient haben.

„7 Tage … mit einem Mörder“ ist ein Projekt der auf neuartige Dokus spezialisierten NDR-Redaktion „Die Box“. Im Kern ist es ein Gesprächsfilm, basierend auf sieben dreistündigen Interviews. Insofern weicht der Film von Caroline Rollinger (Buch) und Stefanie Gromes (Buch, Regie) vom Konzept der Reihe „7 Tage“ ab, das vorsieht, dass ein Autor sieben Tage lang als teilnehmender Beobachter vollständig in eine ihm fremde Welt eintaucht.

„7 Tage … mit einem Mörder“ ist bereits der zweite Film innerhalb kurzer Zeit aus der „Die-Box“-Redaktion, in dem ein wahrer Mordfall und ein verurteilter Täter im Zentrum stehen. Zuletzt war das in der Doku-Serie „Mundo. Die Spur des Mörders“ der Fall, einem stark von neuen US-amerikanischen True-Crime-Formaten wie „Making A Murderer“ beeinflussten Dreiteiler.

Ein konturenreiches Bild

An „Mundo“ war Caroline Rollinger ebenfalls beteiligt. Im aktuellen Film führte sie die Gespräche mit Robert W.. Ihr Interviewpartner, früher unter anderem als Animateur und Zugbegleiter tätig, erweist sich als eloquent und reflektiert. Er wartet oft mehrere Sekunden, ehe er antwortet. Was alles verkehrt gelaufen ist in seinem Leben, kann ein halbstündiger Film kaum rekapitulieren. Rollinger und Gromes gelingt es aber, innerhalb kurzer Zeit ein konturenreiches Bild des Verurteilten zu zeichnen.

Die Doku

„7 Tage … mit einem Mörder“, NDR, Mittwoch, 15.02. um 23.50 Uhr und Samstag, 18.02. um 13.30 Uhr

Als er den Mord begangen habe, sei er ein Jahr lang arbeitslos gewesen, erzählt Robert W., in den letzten Wochen vor der Tat habe er „gar keinen Schlaf mehr“ gehabt, statt dessen permanent das Ego-Shooter Spiel „Battlefield 2“ gespielt. Am verhängnisvollen Tag habe er die Wohnung der Nachbarin betreten, als dort die Tür offen stand. Als sie zurückkehrte, habe er sie aus Angst vor einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch umgebracht.

Bin ich zu distanziert? Bin ich zu verständnisvoll?

Caroline Rollinger, Regisseurin

„7 Tage … mit einem Mörder“ dokumentiert auch den Prozess, den die Interviewerin durchmacht. Die Unsicherheit darüber, wie man sich verhalten soll, wenn der Mensch einem gegenüber einem anderen Menschen das Leben genommen hat. Nach dem ersten Treffen fragt sich Rollinger: „Bin ich zu distanziert? Bin ich zu verständnisvoll?“ Später fragt sie Robert W: „Sind denn 15 Jahre eine gerechte Strafe für einen Mord?“

Wem sei denn damit gedient, wenn jemand im Gefängnis „verrottet“, entgegnet der Gefangene. Ein Mörder könne sich doch später beispielsweise „für Menschen einsetzen“. Am Ende gibt Rollinger ihm die Gelegenheit, über seine Wünsche für die Zeit nach der Haft zu reden. Er wolle das Meer wiedersehen, erzählt er – und dass seine Mutter „nach wie vor die wichtigste Person“ sei. Das Fazit des Gefangenen: Erst durch die Gespräche mit der Filmemacherin habe er „Zugang gefunden zu seiner Sehnsucht nach draußen“.

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