Mitackern inklusive

Landwirtschaft In Gatow liegt Berlins einziger solidarischer Landwirtschaftsbetrieb. Er beliefert 180 Menschen regelmäßig mit Gemüsekisten. Als Gelegenheitsbauern können und sollen sie sich einbringen – so lernen sie ihr Gemüse sogar persönlich kennen

Alles was der Acker so hergibt, etwa Lauchgemüse, kommt aus Gatow solidarisch auf den Tisch, vorbereitet von Bauer Christian Heymann

von Annette Jensen
Fotos Dagmar Morath

Christian Heymann stapft über seinen Acker, die Hände in den Taschen seines dicken Wollpullovers vergraben. Auf dem Feld stehen nur noch ein paar Reihen struppige Grün- und Schwarzkohlstrünke, doch hinten im Folientunnel sprießen Posteleinpflänzchen und Feldsalat. Wenn die geerntet sind, geht es endlich wieder richtig los: In den nächsten Tagen wird er dort Mangold und Asiasalat pflanzen, auch die erste Möhrensaat soll dann in die Erde.

„Im Herbst frage ich mich oft, warum ich mir das alles antue“, sagt der 37-Jährige, der vor 20 Jahren auf einem Demerterhof gelernt hat. Jetzt aber kribbelt es dem Biobauern schon wieder in den Fingern, und bald werden hier auch wieder Dutzende von Menschen auftauchen und ihm helfen: SpeiseGut in Gatow ist die erste solidarische Landwirtschaft – kurz: SoLaWi – in Berlin.

Fünf Jahre ist es her, dass sich Christian Heymann mit 2.000 Euro Startkapital selbstständig machte. Am Anfang hatte er elf Unterstützer, die bereit waren, das unternehmerische Risiko mit ihm zu teilen, inzwischen sind es über 180. Sie haben sich verpflichtet, ein Jahr lang regelmäßig Beiträge zu zahlen, und bekommen dafür das, was der sandige Berliner Boden hergibt, den Heymann gelegentlich mit Hornspänen und häufig mit Mist düngt, der von Galloway-Rindern eines Biobauern und von Pferden, die ebenfalls bio leben, kommt.

Das alles reicht zwar noch nicht aus, um den Betrieb unabhängig vom Markt zu machen. Nach wie vor verkauft Heymann in einem Miniladen in Gatow, hat einen Wochenmarktstand in Potsdam und liefert einen Teil der Ernte auch an eine Bio-Supermarktkette. Doch die Organisation als SoLaWi verschafft ihm die Freiheit, über 45 Gemüsearten anzubauen und sich im Verein zur Erhaltung alter Sorten vor allem für die Vielfalt von Möhren zu engagieren. Außerdem wird bei SpeiseGut so gut wie alles mit der Hand geerntet.

Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) erlebt einen Boom. Vor acht Jahren gab es deutschlandweit nur zwei solche Betriebe in der Nähe von Hamburg, inzwischen umfasst die Liste 126 Höfe und über 100 Initiativen. Mehrere Brandenburger SoLaWi-Betriebe liefern auch nach Berlin, SpeiseGut in Gatow ist die einzige Versorgergemeinschaft auf Berliner Boden.

Die Idee zur solidarischen Landwirtschaft stammt aus den USA, wo Mitte der 1980er Jahre die erste Community-supported agriculture (CSA) gegründet wurde. Grundgedanke ist, gemeinschaftlich die Produktion von Lebensmitteln zu finanzieren – und nicht mehr für den einzelnen Salatkopf oder die Gurke zu bezahlen.

Die Teilnehmenden verpflichten sich für ein Jahr, regelmäßig einen finanziellen Beitrag zu leisten, und bekommen dafür Lebensmittel, deren Herkunft sie auch kennen und kontrollieren können. Der Bauer andererseits muss das Risiko einer verhagelten Ernte nicht mehr alleine tragen und er entkommt dem Preisdruck, den große Supermarktketten auf Produzenten ausüben. Stattdessen kann er sich auf die landwirtschaftliche Arbeit konzentrieren und baut Lebensmittel an für diejenigen, die er persönlich kennt.

Mehr Informationen zur Versorgung mit Produkten aus der solidarischen Landwirtschaft unter www.ernte-teilen.org und www.solidarische-landwirtschaft.org (aje)

Selbst mit der Hacke

Dreimal im Jahr sollten die Teilnehmenden selbst zur Hacke greifen. Viele aber kommen häufiger. „So lernt man sein Gemüse persönlich kennen“, schmunzelt Susanne Roepke. Seit die pensionierte Juristin regelmäßig mitackert, ist ihre Wertschätzung für gesunde Lebensmittel deutlich gestiegen. „Ohne Pestizide wirtschaften sagt sich so einfach. Aber wenn man erlebt hat, wie die Beikräuter einen Meter hochschießen oder man Kohlweißlinge mit einem Beifußbesen abfegen muss, dann weiß man, wie viel Arbeit das tatsächlich bedeutet.“

Petra Erlebach, Projektmanagerin in der IT-Branche, fährt ebenfalls regelmäßig raus nach Gatow. Die gebürtige Berlinerin freut sich über den intensiven Naturbezug, den sie und ihr inzwischen 18-jähriger Sohn durch das Projekt bekommen haben. Auch die Gemeinschaftserfahrung ist ihr wichtig: „Die Stimmung auf dem Acker ist cool, wir sind flexibel und versuchen alle einzubeziehen.“ Im Winter kommt bei ihr jetzt Kohl in den unterschiedlichsten Varianten auf den Tisch – als Chips, Lasagne, Eintopf, Rohkost oder gebraten aus dem Wok. Und im Sommer kocht sie regelmäßig ein, Zucchini oder Bohnen und dergleichen. Die 47-Jährige schätzt, dass sie etwa 90 Prozent ihres Gemüsebedarfs über SpeiseGut deckt. Dass das alles ohne Verpackung läuft, benennt sie als weiteren Vorteil.

Die Gemüsekisten holen die Teilnehmenden in einem der 16 Zwischenlager in Berlin und Potsdam ab, die in Nachbarschaftshäusern, Privatkellern oder Büronebenräumen untergebracht sind. Im Sommer wöchentlich, im Winter seltener, bringt ein SpeiseGut-Mitarbeiter sie am festgelegten Tag um die Mittagszeit vorbei. Wer will, kann zusätzlich Eier und Wurst von anderen Biobauern bestellen. Jeder kommt zum Abholen vorbei, wann es passt. Das Ganze beruht auf Vertrauen und Selbst­organisation.

Mit Bus oder Fahrrad ist der zehn Hektar große Betrieb inmitten eines Landschaftsschutzgebiets leicht zu erreichen. Nicht nur die SoLaWi-Teilnehmenden bevölkern hier häufig die Felder. Auch Kitagruppen und Schulklassen kommen regelmäßig vorbei.

SpeiseGut ist einer von bundesweit 244 Demonstrationsunternehmen des ökologischen Landbaus, der an jedem dritten Samstag im Monat auch für alle Interessierten offen steht. Außerdem hat der Betrieb ein Naturland-Fair-Siegel und belegt damit, dass er nicht nur mit seinen Beschäftigten anständig umgeht, sondern auch mit seinen Lieferanten.

Eingekochtes zum Kosten

Mithilfe gehört zum solidarischen Prinzip: Mitarbeiterin Joelina Singer mit Feldsalat – und Zwiebeln, natürlich bio

Heute findet eine Infoveranstaltung im Steglitzer Depot statt, für das Petra Erlebach die Verantwortung übernommen hat. Die Versorgungsgemeinschaft sucht weitere Teilnehmer. Etwa 25 Menschen aller Altersgruppen haben sich eingefunden, auf einem Tisch stehen eingekochte Leckereien, Saft und Öl aus Gatow zum Kosten.

Ein Paar inspiziert den Inhalt der unterschiedlich großen Klappkisten: Kartoffeln, Möhren, Feldsalat, Lauch und jeweils eine Flasche Saft liegen darin – die aktuelle Lieferung.70 Euro kostet der monatliche Beitrag für zwei Personen. Im Sommer gibt es dafür wöchentlich eine volle Kiste, im Winter sind Menge, Vielfalt und Lieferfrequenz deutlich reduziert.

Mit erdigen Händen klickt Christian Heymann auf einem Laptop herum und versucht einen Film abzuspielen, nach ein paar Versuchen gibt er auf und beginnt zu erzählen. „Wenn man sich die Winterkiste anschaut, kann man das nicht gegenrechnen mit dem, was es im Laden kostet“, sagt er und spricht über den Wert von Lebensmitteln.

„Dieses Modell passt einfach nicht zu jedem Menschen“, stellt der Biobauer ganz sachlich fest. Nicht nur müsse man bereit sein, das Gemüse an einem bestimmten Tag aus dem Depot abzuholen, sondern man solle auch auf dem Acker erscheinen. „Man darf auf dem Acker erscheinen!“, ruft eine Frau und erinnert Heymann daran zu erwähnen, dass das Gemüse erst am Morgen des Auslieferungstages geerntet wird. „Die Qualität ist einfach super!“, wirbt sie.

Heymann blickt in die Runde, auch mehrere Rentner sind gekommen. Niemand brauche Angst zu haben, überfordert zu werden, versichert er. Wer Knie- oder Rückenprobleme habe, bekäme etwas anderes zu tun. Vielfalt und Gemeinschaftssinn werden großgeschrieben bei SpeiseGut: Nach der Kartoffelernte gibt es ein Fest, auch sonst essen die Gemeinschaftsbauern öfter zusammen, und wer Lust hat, kocht gemeinsam ein. Zweimal jährlich treffen sich alle, um Vor- und Rückblick zu halten. „Dann schmeißen wir die Planung an die Wand und jeder kann sagen, ob es im letzten Jahr zum Beispiel zu viel Fenchel gegeben hat“, beschreibt Heymann den Event.