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KUNST

KunstBrigitte Werneburgschaut sich in Berlins Galerien um

Tragen obdachlose Männer eigentlich auch so viel Zeug zusammen wie die berühmt-berüchtigten Bag Ladies? Aber sind die Männer, die sich auf Sebastian Schraders großformatigen Ölgemälden inmitten von Kleiderbergen und Papiermüll auf einer Bank niedergelassen haben überhaupt obdachlos? Ganz sicher kann man sich nicht sein. „Aufgeschoben“ heißt jedenfalls der Gemäldezyklus, den die Galerie Reiter zeigt. Aber was schieben die Männer auf? In ihnen Obdachlose zu sehen, ist verführerisch, weil ihr Motiv sonst immer nur ein fotografisches ist, das hier nun glücklicherweise in den Rang des Gemäldes er- und einem anklagenden Dokumentarismus enthoben wird. Es könnte sich bei Schraders Werken um Stillleben einer kapitalistischen Konsumgesellschaft handeln, statt mit Hasen, Jagdgerät und Weinflasche eben mit Mann im Hoodie und gelbem Friesennerz. Das ist provokant. Der Müll tritt in geometrischen Formen auf, in Recht- oder Dreiecken, Kreisen, Punkten. Schrader spielt die Möglichkeiten von Pinsel und Spachtel, die Effekte von Farbe und Licht virtuos aus. Das Malerische dominiert das Motiv und macht es damit politisch groß (bis 8. 4., Mi.–Sa., 12–18 Uhr, Potsdamer Str. 81b).

Nach ihren Cut-out-Bildern im Postkartenformat hat Ulla Hahn wieder die Malerei entdeckt. Größer im Format, aber immer noch in der zauberhaften Dimension einer kleinen Fensterscheibe. Hier wie dort geht es ihr um das Ausgesparte, Übriggebliebene, jetzt um die weggespülten Farbreste. Denn immer wieder wäscht sie das Figurative aus der Leinwand und findet in diesem Prozess einen Weg in die Abstraktion, die dann so lebendig, bewegt und farbenreich ist wie die detailfreudigste szenische Darstellung. Die Balance zwischen Geschehenlassen und Geschehenmachen, die Ulla Hahn nach eigener Aussage herzustellen sucht, sie gelingt.

„mehr und mehr und mehr und mehr“ heißt die Ausstellung bei Vincenz Sala, die sie gemeinsam mit Hendrik Krawen bestreitet. Der Titel stammt von Michel Leiris und Hendrik Krawen findet darin eine minimalistische Form von Poesie, von der er hofft, dass sie auch seine Bilder besitzen. Interessanterweise ist er der Künstler dieses Rundgangs, der mit seiner Malerei das Thema sucht. „Themen sind regelrecht Thema meiner Arbeit.“ Trotzdem könnte man auch sagen, Räume seien sein Thema. Farbräume, die den illusionistischen Raum der Architektur vertiefen, dehnen, und beweglich halten. Wie zum Beispiel das auffällige Grün, das die penibel gemalte Abbruchruine eines Gründerzeithauses tatsächlich zur surrealen Poesie erklärt (bis 11. März, Do., Fr. 18–21 Uhr, Sa. 15–18 Uhr, Helmstedter Str. 8).

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